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172 - Der Sturm

172 - Der Sturm

Titel: 172 - Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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beiden Vortagen!
    Da waren keine Pausen mehr oder vereinzelte starke Böen. Der Wind schwoll kontinuierlich an, überschritt die Sturmgrenze. Dunkel gescheckte Wolken trieben näher, die wie feste Materie wirkten. Seeleute kannten solche Wolken von ihren Fahrten auf dem Ozean und wussten sie zu deuten. Deshalb hatten sich die Männer auch geweigert, Grao'sil'aana bei der Suche zu helfen.
    Als der Daa'mure den Fluss erreichte, war von einer Uferböschung nichts mehr zu sehen. Wellen schäumten vorbei, schmutzig gelb vom weggerissenen Erdreich.
    Sträucher wirbelten durch die Luft. (Sprich zu mir, Daa'tan!)
    (Ich versuche mich zu befreien!)
    (Greifen die Spinnen nicht an?) Der Daa'mure hatte Mühe, im tosenden Wind auf den Beinen zu bleiben.
    Zweige flogen ihm ins Gesicht.
    (Nö. Die Spinnen sind zum Grund getaucht, keine Ahnung warum. Nur gut, dass ich das Messer habe.) Grao'sil'aana konnte die Gelassenheit des Jungen erst nicht verstehen. Doch dann begriff er: Daa'tan hatte keine Ahnung, was sich über seinem Kopf abspielte. Als er unter Wasser gezerrt wurde, war das Wetter noch in Ordnung gewesen!
    (Hör zu, Daa'tan: Es ist ein wenig Eile geboten!) (Ich komm ja schon! Soll ich dir sagen, woher ich das Messer habe? Da war doch dieser tote Pirat am Strand, vorgestern, weißt du noch, Grao?)
    (Daa'tan!)
    (Ja! Ja! Ja!)
    Der Daa'mure versuchte seinen Schützling zu orten, um ihn packen zu können, wenn er auftauchte. Am Ufer, hatte Daa'tan gesagt. Ich bin unter einer weißen Blase am Ufer! Doch das konnte nicht sein bei der Größe der Spinnen – ihr Netz musste irgendwo im freien Wasser liegen. Wahrscheinlich hatte der Junge die Orientierung verloren auf seinem Weg in die Tiefe.
    (Nur noch ein paar Fäden, Grao, dann komm ich! In den Messergriff sind übrigens Zeichen eingeritzt! Ravi Shan hat gesagt, dass Piraten manchmal Schätze verstecken, du weißt schon, damit sie nicht teilen müssen. Vielleicht ist das auf meinem Messer eine Schatzkarte! Das sollten wir überprüfen, denkst du nicht auch?)
    Der Daa'mure watete in den Fluss, so weit es ging, klammerte sich dabei an Stelzwurzeln der Mangrovenbäume fest und lauschte Daa'tans Geplapper.
    Diese Unbekümmertheit war zum Verzweifeln! Er wollte den Jungen zur Eile drängen, ihm verraten, dass mit jedem vergeudeten Moment seine Überlebenschance sank – doch er tat es nicht. Daa'tan durfte nicht in Panik geraten!
    Grao'sil'aana war eingehüllt in nicht enden wollenden Lärm. Der Fluss rauschte an ihm vorbei; der Sturm pfiff und heulte, und irgendwo grollte anhaltender Donner.
    Die Wolken stauten sich schier über dem Wasser, dunkel und schwer, und plötzlich flammte ein Blitz auf. Er knisterte bösartig, schien ein Opfer zu suchen. Der Daa'mure duckte sich unwillkürlich. Dann sah er das Boot.
    (Ich komm jetzt hoch, Grao!)
    Es war ein alter, ziemlich angeschlagener Fischerkahn.
    Das Ruder musste gebrochen sein, denn die beiden Menschen an Deck unternahmen keinen Versuch, ihr Boot zu steuern. Grao'sil'aana traute seinen Augen nicht, als es näher kam. Der Mann am Bug war ihm unbekannt, aber die Frau dahinter – das war die Gefährtin des Primärfeindes Mefju'drex: Aruula vom Volk der Dreizehn Inseln! Daa'tans Erzeugerin!
    Das konnte doch kein Zufall sein! Rasch nahm der Daa'mure wieder seine menschliche Tarngestalt an.
    (Hörst du mich?)
    (Was? Ja, natürlich!) Grao'sil'aanas Kopf ruckte herum.
    Blitze zuckten, gleich mehrere hintereinander, und aus dem Wald kam ein ohrenbetäubender Knall. Irgendwo hatten sie eingeschlagen! Wo war der Junge? (Daa'tan?) Grao'sil'aana suchte fieberhaft die ufernahen Wellen ab. Doch da war nichts. Stattdessen kam das Boot immer näher, und mit ihm…
    Der Daa'mure erstarrte. Hinter dem Fischerkahn zog ein Wolkenmonstrum auf, das einen gigantischen schwarzen Tornadorüssel heranschleifte. Er hing über dem Fluss, über beiden Ufern und dem Wald. Hunderte kleiner Punkte wirbelten an ihm hinauf, wie Blätter.
    Grao'sil'aana sank das Herz, als er erkannte, dass es Bäume waren.
    (Daa'tan! Wo bist du?)
    »Grao!«, gellte es erstickt übers Wasser. Die Verzweiflung in Daa'tans Stimme übertrug sich auf den Daa'muren: Sein Schützling befand sich nicht in Ufernähe – er war draußen, mitten auf dem Fluss. Und er konnte nicht schwimmen.
    Aruula war so erschöpft. Die ganze Nacht hindurch hatte der aufgewühlte Fluss ihr Boot mitgerissen, durch Strudel und Stromschnellen, Stunde um Stunde.
    Wasserpflanzen blockierten das Ruder, hatten die

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