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172 - Der Sturm

172 - Der Sturm

Titel: 172 - Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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herunter, rissen Zweige und Äste ab. Im Nu war die Luft von herumfliegenden Trümmern erfüllt: Früchte, Holz, Strauchwerk. Es war lebensgefährlich, zu den Ruinen zu laufen und schwierig obendrein, denn der Sturm kam aus ihrer Richtung.
    Die Gefährten rannten geduckt los, jeden Baumstamm als Deckung nutzend. Regen prasselte herab. Vereinzelte Hagelkörner mischten sich darunter.
    Rulfan wurde von einem heranwirbelnden Ast getroffen und stolperte, als er das Baby mit seinem Körper schützte, kam aber rasch wieder auf die Beine.
    »Da ist ein Tempel!«, schrie Tanaya gegen das Tosen des Windes an.
    Sie gingen in den Endspurt. Aus dem Regen wurde Hagel. Immer größere Körner peitschten herunter. Chira jaulte auf, schoss hinter Tanaya her und verschwand im rettenden Tempel.
    Die Gefährten folgten ihr. Geero trat ein paar Schritte ins Dunkel und ließ sich in eine Ecke sinken. Als seine Hand den Boden berührte, stieß sie an etwas Weiches.
    »Scheiße!«, fluchte er und riss den Arm hoch. Eine kleine grüne Schlange hing in seiner Haut. Es war ein Tuu'step, weit verbreitet im asiatischen Raum. Er fiel herunter, als Geero aufsprang, und schlängelte davon.
    Der Mann wurde kreidebleich. Schaum quoll aus seinem Mund, die Augen blickten glasig ins Nichts.
    Geero taumelte zwei Schritte zurück. Dann brach er zusammen.
    ***
    Tag 3, nahe Ipoh (Malaysia West)
    Es war kurz nach sieben Uhr, als Daa'tan erwachte. Er hätte nicht sagen können, was ihn zu dieser frühen Stunde aus dem Schlaf geholt hatte. Der Seemann neben ihm war es jedenfalls nicht gewesen. Der war tot.
    Daa'tan setzte sich auf, gähnte und blinzelte die Müdigkeit aus seinen Augen. Dann sah er sich die Leiche an. Das Gesicht war so weiß, als hätte der Mann keinen Tropfen Blut mehr im Körper. Daa'tan rüttelte probeweise an ihm. Der Kopf rollte auf die Seite, blicklose Augen starrten ins Leere.
    Am Hals des Toten waren lauter kleine Einstiche und getrocknetes Blut. Ein Spritzer klebte am Boden; sein Ende verschmierte in einer silbrigen Schleimspur. Sie führte zur Tür, und über die Schwelle hinaus ins Freie.
    Leise, ohne die anderen zu wecken, huschte Daa'tan los. Er brannte darauf, das Ende der geheimnisvollen Spur zu finden. Nicht etwa, um den Tod des Seemanns zu rächen – der Primärrassenvertreter war ihm ziemlich egal, schließlich hatte er ihn kaum gekannt –, sondern vielmehr, weil das Ganze nach Abenteuer roch. Kein Zwölfjähriger konnte dieser Verlockung widerstehen, auch der Sohn zweier Väter nicht.
    Im Mangrovenwald war keine Menschenseele unterwegs. Der Wind hatte sich gelegt; es wurde warm, der Boden dampfte. Dunst zog um die schlanken hochstämmigen Bäume, von schräg einfallendem Licht gekreuzt. Hier und da knackte es im Geäst.
    Daa'tan folgte der Schleimspur bis hinunter zur Blauen Lagune. Als er das Brückengeländer erreichte, stob dort ein Pulk kleiner Süßwasserkrabben auseinander und gab den Blick auf die Überreste von Ravi Shan frei: zerfetzte Kleidung, ein Kopf ohne Gesicht und ein gefüllter Stiefel.
    Der Junge zertrat ein paar Krabben als Rache für den toten Piratengeschichten-Erzähler. Mehr Zeit konnte er nicht aufbringen, denn da stand die nackte Frau!
    Aus der Nähe sah sie allerdings hässlich aus, daran änderten auch die großen Brüste nichts. Ihr Gesicht war von einem Netz feiner Risse durchzogen, die Augen waren matt und blind, und sie grinste blöde. Außerdem hatte sie keinen Unterleib.
    Dafür ist Ravi Shan gestorben? Daa'tan schubste die grinsende Frau an – und sprang erschrocken zurück, als sie sich in Bewegung setzte. Sie schaukelte auf einem gedrehten Ding hin und her, das aus ihr herauswuchs und im Boden verschwand. Dabei gab sie quietschende Geräusche von sich.
    Sie spricht!, dachte der Junge unbehaglich und ging in weitem Bogen an der Figur vorbei.
    Hastig rannte er über die Brücke zu den Teichen. Es war ein geschlossenes System mit rauschendem Wasserfall, das vom nahen Fluss gespeist wurde und durch unterirdische Kanäle wieder zurück floss.
    Daa'tan verfolgte die Schleimspur bis an ein Ufer. Dort schwappten kleine Wellen über den Schlick. Sie löschten alle Fährten, also kniete sich der Junge hin und streifte mit der Hand durchs Wasser. Nichts! Nur Schlamm und weich verfaulte Pflanzen.
    Er beugte sich vor, tauchte seinen Arm bis über den Ellbogen hinein und tastete den Boden ab. Fäulnisblasen kamen hoch. Etwas Glitschiges strich über seinen Handrücken, doch es war schneller

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