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172 - Der Sturm

172 - Der Sturm

Titel: 172 - Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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verschwunden, als Daa'tan zupacken konnte.
    Enttäuscht richtete er sich auf. Wie sollte er das Mörderding finden?
    Die Frage war vergessen, als ein Stück weiter links plötzlich ellenlange, schwarz behaarte Beine durchs Gebüsch staksten. Acht, um genau zu sein. Sie gehörten einem Argyr, einer monströsen, hüfthohen Wasserspinne, die im Uferbereich des Flusses lebte. Der Sturm hatte sie bei der Jagd überrascht und weggeweht.
    Nun wollte sie zurück zu ihrem Unterschlupf.
    Daa'tan hatte so ein Tier noch nie gesehen. Es schritt wie auf Zehenspitzen dahin und gab merkwürdige Zirr-Laute von sich. Er musste es einfach verfolgen!
    Nur ein Stück, nahm er sich vor und vergaß das gleich wieder. Ernsthaft gefährlich konnte ihm der Argyr nicht werden, schließlich steckte in Daa'tans Gürtel noch das Messer des toten Piraten vom Strand! Der Junge betrachtete es unterwegs. Es war eine schöne Waffe mit langer gebogener Klinge und einem Griff aus Elfenbein.
    Jemand hatte Zeichen hinein geritzt, das war irgendwie geheimnisvoll. Ein Rauschen zog durch den Wald.
    Nicht schon wieder!, dachte der Junge und sah zu den Baumwipfeln hoch. Er atmete auf: Sie bogen sich in die andere Richtung, da kam also kein Nachzügler des Sturmes.
    Daa'tan erreichte den Fluss. Die gestrigen Regenfälle hatten ihn anschwellen lassen und dabei ganze Uferstriche zerstört, das schien die Riesenspinne zu verwirren. Der Junge grinste, als sie wie angestochen hin und her tickelte, immer knapp an ihm vorbei, und ohne ihn zu beachten. Offenbar suchte sie etwas.
    Der Himmel bewölkte sich.
    Daa'tan ließ keinen Blick von dem Argyr, der abwechselnd mit spitzen Beinen das Wasser berührte.
    Zögerlich, irgendwie. Als wollte er testen, ob es ihn tragen konnte.
    Regentropfen fielen zu Boden.
    Der Argyr stakte ein Steilufer hinunter und geriet außer Sicht. Daa'tan spurtete los. Als er die Uferböschung erreichte, heulten Windböen durch den Wald. Die Riesenspinne streckte alle Beine von sich, sprang aufs Wasser und tauchte ab.
    Gleich darauf brach ein Platzregen los, Donner grollte, das Buschwerk legte sich rauschend um. Daa'tan packte Halt suchend nach einem jungen Baum, der sich ihm entgegen bog.
    Es war eine schlechte Wahl.
    Im Geäst oben saß das Weibchen des Argyrs.
    Als ihr bevorzugter Jagdsitz seitwärts ruckte, sprang es los, packte im Vorbeiflug den Jungen und riss ihn mit sich. Sein Aufschrei wurde von den Wellen erstickt.
    Gurgelnd und schäumend schlugen sie über ihm zusammen.
    Plötzlich bestand die Welt nur noch aus trüb verquirlter Brühe und gedämpften Lauten. Daa'tan rang nach Luft, aber da war keine. Nur Wasser, das in seine Lungen drang. Er geriet in Panik, schlug um sich, versuchte sich zu befreien. Keine Chance. Die Riesenspinne hielt ihn eisern umklammert und schwamm mit ruckartigen Bewegungen nach unten, tiefer und tiefer. Vor Daa'tans Augen pulsierten Lichtblitze, er drohte zu ersticken und spürte Todesnot.
    Luft musste her! Unbedingt!
    Sie kam.
    Wie alle Wasserspinnen besaßen auch die Argyrs ein Nest in der Tiefe, das wie eine Taucherglocke zwischen den Pflanzen hing. Es war aus Spinnenfäden gefertigt und mit Sauerstoff gefüllt, den die Tiere an ihrer Behaarung herunter transportierten und abstreiften. In dieser Luftblase wurde gewohnt, überwintert – und gefressen.
    Daa'tan hustete und keuchte, versuchte zu atmen und spuckte Wasser, als die Spinne ihn unter die Haube schob. Es war ihm egal, dass dort schon der zweite Argyr saß. Auch die sorgfältig geschnürten Pakete ringsum interessierten ihn nicht.
    Erst als sich sein jagender Herzschlag beruhigte und das Brennen in den Lungen nachließ, merkte Daa'tan, warum die Riesenspinne unentwegt an ihm herum hantierte. Klebrige Fäden umspannten schon seinen Körper, die Beine, die Oberarme. Jetzt ahnte er, was sich in den Paketen befand – doch für eine Flucht war es längst zu spät. Der Junge konnte nur noch um Hilfe rufen.
    ***
    (Versuche dich zu erinnern: Wie sah das Uferstück aus, an dem du ins Wasser gefallen bist?)
    (Ich bin nicht gefallen! Das Vieh hat mich reingezerrt!) (Daa'tan! Dies ist der denkbar ungünstigste Moment für einen Disput!) Grao'sil'aana kämpfte sich in seiner Daa'murengestalt verbissen durch den Mangrovenwald.
    Er hatte die menschliche Tarnung aufgegeben, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Denn es war ein Wettlauf gegen die Zeit, nicht nur in Bezug auf den Jungen: Der Sturm kam zurück – und er hatte eine andere Qualität als an den

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