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172 - Der Sturm

172 - Der Sturm

Titel: 172 - Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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befand sich in Borneo.
    Leviathan wütete bereits zwei Tage über den Nordrand der indonesischen Inselkette, und er hinterließ eine Fährte des Schreckens: An der Westküste von Sumatra verwüsteten Regenfälle und Hochwasser mehrere Hafenstädte, in der Straße von Malakka sanken drei Schiffe. Überall gab es schwere Sturmschäden, und auf Malaysia West wurde ein Fischerdorf vom Hagel zerstört.
    Jetzt, am Morgen des dritten Tages, hatte der Zyklon gedreht und nahm erneut Kurs auf Malaysia West – allerdings nicht, ohne Borneo ein tödliches Abschiedsgeschenk zu machen. Es befand sich im Augenblick weit draußen auf dem Meer, und nur die Götter wussten von seiner Existenz. Rulfan hatte keine Chance, die Gefahr zu erkennen.
    »Lass uns gehen!«, sagte der Albino zu Tanaya.
    Die junge Frau hatte gelauscht und schwache Bilder empfangen. Irgendwo in nicht allzu weiter Ferne musste es eine menschliche Siedlung geben.
    Tanaya hockte auf den Tempelstufen. Ihre Augen waren rot verweint, als sie zu Rulfan aufsah.
    »Ich gehe nirgendwo hin«, sagte sie. Der Sohn eines Technos und einer Barbarin wollte ihr übers Haar streichen, doch sie schob seine Hand weg.
    Die beiden hatten die Nacht unter dem Vordach verbracht. An Schlaf war nicht zu denken gewesen in der windumtosten Dunkelheit, bei sintflutartigem Regen und mit der Bedrohung im Rücken, von einer Giftschlange gebissen zu werden.
    Rulfan blickte müde in den Eingang. Geero war tot, und sie würden ihn im Tempel zurück lassen müssen. Es regnete noch immer, der Boden war schwer und aufgeweicht. Da ließ sich ohne Werkzeug kein Grab ausheben.
    »Wir haben unsere Gebete gesprochen«, sagte Rulfan leise. »Mehr können wir nicht tun.« Er hielt Tanaya die Hand hin. »Na komm!«
    Die Telepathin fuhr hoch. Sie schrie ihn an: »Keiner von uns wird das hier überleben, maleeto albiino! Wir hätten bei der Culloden bleiben sollen! Aber du musstest ja unbedingt in die Wälder gehen!«
    »Das hatten wir gemeinsam beschlossen.«
    »Ja, sicher!«, höhnte Tanaya und marschierte los. Sie weinte, als sie sich zu Rulfan umdrehte. »Es ist alles deine Schuld!«
    Rulfan schulterte das behaarte Baby der Waldmenschen. Es war zutraulich geworden, seit er es mit Welsfleisch gefüttert hatte, und klammerte sich freiwillig fest. Chira hingegen lief an ihm vorbei, als gäbe es ihn gar nicht. Die Lupa schloss sich Tanaya an, und er folgte den beiden mit gesenktem Kopf.
    Ich habe drei Gefährten verloren, dachte Rulfan bitter.
    Wie konnte das nur geschehen? Bin ich verflucht? Er sah sich um. Oder liegt ein Fluch auf diesem Wald?
    Der Gedanke war nicht abwegig. Jetzt, bei Tageslicht, zeigte sich das ganze Ausmaß der Zerstörung – und wie wenig der Wald seine Fauna geschützt hatte. Da lagen Vögel am Boden, aus der Luft geholt und zerschmettert von herum fliegendem Holz. In den Pfützen trieben ertrunkene Nagetiere, während die ursprünglichen Bewohner, die Froogs, aufgespießt an zersplitterten Zweigen hingen.
    Rulfan spürte, wie ihm mit dem Regen etwas Warmes den Rücken hinunter lief. Er stöhnte innerlich. Bei Wudan! Jetzt pinkelt mich das Junge auch noch an!
    Die Gefährten näherten sich dem Waldrand. Zwischen den letzten Stämmen schimmerte schon die Küste von Sambas hindurch mit ihren Felsformationen und dem endlosen Strand. Rulfan entdeckte eine Siedlung in der Ferne, irgendwo zwischen Meer und grauem Himmel, und atmete auf. Menschen! Noch nie hatte er sich so nach ihrer Nähe gesehnt.
    »Meerdu!«, fauchte Tanaya.
    Rulfan schrak aus seinen Gedanken hoch, die Hand flog ans Schwert. Doch er ließ sie gleich wieder sinken, als er sah, was die ittalyanische Telepathin zum Fluchen gebracht hatte: Ein Nebenarm des Flusses kreuzte ihren Weg. Er wirkte harmlos, nur ein schmales stehendes Gewässer, obendrein noch leicht zu überqueren.
    Zahlreiche Borkenstämme dümpelten darin.
    »Ich bin es so satt, dieses verdammte Wetter! Regen von oben, Wasser von unten – dio mio! Sollte ich je wieder nach Rooma kommen, bleibe ich in der Sonne liegen, bis ich schwarz werde!«, schimpfte Tanaya.
    Rulfan grinste. »Wetten, dass du dich nach dem Regen zurücksehnen wirst, wenn wir erst auf der Weiterreise sind? Es soll ziemlich heiß und trocken sein im Süden!«
    »Oh, gut! Auf geht's!« Tanaya stapfte los.
    Rulfan hielt sie am Arm zurück. »Warte!« Er zeigte auf das trübe Wasser. »Ich gehe als Erster. Ich will wissen, ob die Stämme mein Gewicht tragen. Wenn ja, kommst du nach, wenn nicht,

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