Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
172,3 (German Edition)

172,3 (German Edition)

Titel: 172,3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincent Voss
Vom Netzwerk:
Fackelschein vor dem Schutzkreis. Bewegungslos verharrte der verwesende Körper und stierte ihn aus weißen Augäpfeln an. Viktor fiel vornüber, auf seinen linken Arm, der pochend schmerzte. Er stöhnte auf und griff in die aufgeweichte Papiertüte mit den Burgern. Kraftlos nahm er sich einen heraus, wickelte mit einer Hand das Papier ab und biss schnaufend hinein. Schwer atmend beobachtete er seinen Gegner, der regungslos im Fackelschein vor dem Eidotter wartete. Noch eine Fliege, die vor seinem Gesicht auf und ab tanzte. Ein weiterer Biss. Er schluckte und spürte, dass es dem Wesen missfiel, weil es, einem ungeduldigen Tier gleich, von einem auf das andere Bein trat.
»Lass mich hinein.«
Viktor erschrak, dass er zu kauen und atmen vergaß. Die Stimme war so tief und so nah, dass er sich nicht sicher war, ob er sie nur in seinem Kopf vernommen hatte. Er spürte sein Herz wild pochen, konnte sich bildhaft vorstellen, wie es hochtourig in seiner Karosserie arbeitete und überhitzte. Er schob sich den Rest des Burgers in den Mund, seinen Kopf konnte er kaum noch halten.
»Lass mich hinein!«
Es kam einem wütenden Fauchen gleich. Viktor schüttelte kraftlos mit dem Kopf. Irgendetwas stimmte mit seinem Herz nicht. Ein Ring aus Schmerzen zog sich in seiner Brust immer enger zusammen und er konnte seinen linken Arm, auf dem er lag, nicht mehr spüren.
Viktor hatte Angst. Furchtbare Angst vor dem Tod und furchtbare Angst vor dem Wesen. Würde er sich aufrichten und etwas trinken, würde es ihm vielleicht besser gehen, aber er fühlte – nein – er wusste, dieses Wesen litt mit ihm. Noch war dessen Schicksal offenbar mit seinem verknüpft. Viktor grinste schief und verlor dabei ein Häufchen gekauten Burgerbrei, der ihm aus dem Mund fiel. Er stopfte sich den Rest des Burgers hinterher und suchte nach Nachschub.
»Du sollst mich hinein lassen! Ich habe dir etwas mitgebracht!«
ES schrie. Viktor hörte es nicht nur in seinem Kopf, es brüllte tatsächlich und jedem Wort folgte ein Brodem der Verwesung.
»Nein«, stöhnte Viktor, kaute und schüttelte den Kopf. »Lass mich. Ich habe dich … nicht … rufen wollen!«
Das Sprechen tat ihm weh, er hoffte auf Einsicht bei dem Wesen.
»Hier!«, sagte ES und hielt etwas in den Händen.
Viktor konnte nicht erkennen was, es sah aus wie ein Feudel oder wie … Haare. Es waren Larissas Haare. Es war ihre Kopfhaut!
»Nein!«, stöhnte er und wilder Hass flammte in ihm auf. »Nein!«
»Lässt du mich hinein?«, fragte ES höhnisch.
Viktor wollte dem Impuls folgen, denn er bot Aussicht auf Genugtuung, auf Rache. Viktor öffnete den Mund und … zögerte. Er schob sich den Burger hinein, biss ab und kaute.
»NEIN!«, kreischte ES und wie von Schlägen getroffen zuckte es zusammen und vollführte einen wahnsinnigen Tanz.
»Nein«, murmelte Viktor, dem die Kräfte und Sinne schwanden.
Er zog alle Nahrungsmittel mit einem letzten Aufbäumen in seine Reichweite, packte sie einhändig und umständlich aus und aß … und mit jedem Bissen quälte ES sich und verlor an Gestalt. Und mit der Kälte ließ Viktors Angst vor dem Tod nach und die Erinnerungen an die schönen Tage mit Larissa und Daniela nahmen zu. Und er starb – und mit ihm die Fliegen.
  

Weitere Kostenlose Bücher