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172,3 (German Edition)

172,3 (German Edition)

Titel: 172,3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincent Voss
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und verfehlte sein Ziel. Ein Stock traf. Kreischen. Ein Stein folgte und daraufhin hagelte es Steine, Äste, Erde und Stöcke. Hass, Wut und Angst entluden sich. Sie spuckten hinein, drohten und beschimpften ES , suchten weitere schwere Steine und verfielen einem blinden Rausch.
Diethelm sah, dass es nicht sterben wollte. Er atmete tief ein, riss sie an den Haaren hoch und schleuderte sie dem Sack hinterher. Sie schlug auf und schrie vor Schmerz. Das Dorf verharrte. Kein Stein flog mehr und alle sahen, das ES sich bewegte.
Diethelm nahm seinem Nachbarn einen Stein aus der Hand, hielt ihn mit schmerzerfülltem Antlitz in den Himmel und warf ansatzlos nach ihr. Der Stein traf sie am Körper. Sie krümmte sich, wandte sich ihm zu und hielt ihm ihre ineinander gefalteten Hände entgegen.
»Bitte!«
Ein Stein traf sie am Kopf und sie fiel nach vorn.
Der erfahrenste Krieger nickte Diethelm von der Seite der Grube zu. Diethelm erwiderte die Geste und andere Krieger bewarfen sie. Einige wehklagten mit einem Gesang und andere stimmten ein. Wieder andere holten noch mehr Steine und Äste und die besinnungslose Wut wurde zu Trauer um den Verlust.
Diethelm entzündete ein Reisigbündel und warf es hinterher. Er sang ein Lied für seine Ahnen, die auf diesem Hügel in ihren Gräbern über ihn wachten. Ein Lied für die Götter, deren Entscheidungen oft schwer zu verstehen waren. Ein Lied für das Dorf, dass das Unheil dem Guten wich.
Und in der Nacht legte er Holz um Holz nach und in der Dämmerung des Morgens warf er Erde hinab in die Asche und das Dorf tat es ihm gleich. Hand um Hand, denn sie alle wollten vergessen.



172,3
Er atmete tief ein, behielt die Luft in sich und drückte sie durch seine zusammengepressten Lippen wieder aus.
Er sah an sich herab.
Behaarte Titten, eine Fettschürze – sein Bauch.
Er machte einen Schritt vor, setzte mit dem anderen Fuß nach.
PING.
Sie wiegen Hundertzweiundsiebzigkommadrei Kilogramm.
Wie hatte er es geschafft, so viel auf die Waage zu bringen?
Er schluckte trocken und seine Ahnung bestätigte sich mit diesem elektronischen Satz. Die Siebzig geknackt. Er rieb sich die Stirn und pure Verzweiflung nagte an ihm. Es war zum Heulen.
Bei den Fuffzigern hatte er sich ähnlich gefühlt. Allerdings mit bissigem Humor. Er erinnerte sich noch, wie er Larissa ›Viktor hat die 150iger Schallmauer durchbrochen und macht sich nun auf, neue Gefilde zu erkunden‹ in die Küche zugerufen hatte.
Der Humor war weg. Wahrscheinlich in seinen Fettfalten erstickt.
Er stieg von der Waage und besah sich im Spiegel. Entweder er gab es nun auf und ließ sich gehen oder aber er nahm ernsthaft ab, holte sich Hilfe in einer Selbsthilfegruppe oder so.
Er nahm seine Titten und drückte sie zusammen. Er hob seinen Bauch an und ließ ihn fallen. Wahnsinn. Früher hatte er Handball gespielt, gar nicht mal so schlecht, und jetzt kackte er sich vor dem Wiegen richtig aus und rasierte sich, in der Hoffnung, dadurch ein paar Gramm weniger zu wiegen.
»Scheiße!«, fluchte er, bereute es sofort und lauschte, ob Larissa ihn gehört hatte.
Seiner Frau hatte er gesagt, er würde sich nicht mehr wiegen. Er hatte ihr auch erzählt, dass er das Gewicht halte, damals bei 165.
Nichts. Sie hatte ihn nicht gehört.
Er zog sich wieder an und sammelte sich. Seinen Selbstbetrug sollte sie nicht sehen können.
*
Im Pfannenboden schwamm Öl. Es begann zu brutzeln. Vier Scheiben Bacon, nur bis sie schrumpelten, aber nicht verkohlten, Zwiebelwürfel, eine Hand voll Shrimps, vier verrührte Eier, eine gewürfelte Tomate, eine geviertelte Gewürzgurke, Parmesankäse. Er schwenkte die Pfanne und lud sich den Inhalt auf zwei mit Schmelzkäse bestrichene Sandwichscheiben.
»Was ist?«, fragte Larissa von der anderen Seite des Esstisches.
Er schüttelte den Kopf (sein Doppelkinn bebte, es fiel ihm auf, angesichts der Lüge) und zuckte mit den Schultern.
»Nichts. Gar nichts ist. Was sollte sein?«
Sie sah ihn an, länger als ihm lieb war. Er schob sich einen Löffel Rührei in den Mund und eine Speckscheibe hinterher.
»Komm, mein Ameisenbär, ich weiß, wenn es dir nicht gut geht. Was ist los?«
Ameisenbär.
Es gab Momente (jetzt gerade war so einer, mit der Gewissheit im Rücken, die 170iger-Marke gesprengt zu haben), da wollte er nicht ihr Ameisenbär sein. Da wollte er für niemanden irgendetwas sein. Er senkte sein Besteck, suchte im Mundraum mit der Zunge nach einem eingeklemmten Speckstück zwischen den Zähnen und erwiderte ihren Blick.

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