1725 - Hängt die Hexe höher
Fremde zu bewegen. Etwas war geschehen, von dem sie nichts mitbekommen hatte.
Clara wühlte in ihrer Erinnerung, doch da war nichts, an das sie sich hätte erinnern können. Nur daran, dass sie auf dem Friedhof gewesen war und noch mal hatte hingehen müssen, um ihre Handtasche zu holen. Das war normal gewesen, und sie war auch auf dem normalen Weg wieder nach Hause gefahren.
Nur der Geruch irritierte sie.
Egal, sie würde eine Erklärung finden, und deshalb dachte sie daran, sich hinzulegen, denn die nötige Bettschwere war bereits vorhanden. Etwas taumelig verließ sie das Zimmer und betrat den Flur. Auch hier nahm sie den Duft wahr. Sie sah die Treppe, die nach oben führte – und stand plötzlich stocksteif.
Jetzt wusste sie, von wem dieser Duft stammte. Sie lachte leise, dass sie nicht schon früher darauf gekommen war. Dieser Duft gehörte zu dem Parfüm, das ihre Mieterin Grace Golding benutzte.
Aber wieso hatte sie es ihrem Zimmer gerochen?
Im Bett liegend suchte sie noch immer nach einer Erklärung, die sie dann auch fand.
Es war durchaus möglich, dass Grace in ihrer Abwesenheit in ihrem Wohnzimmer gewesen war. Das wäre nichts Besonderes gewesen, denn das kam öfter vor.
Mit diesem beruhigenden Gedanken schloss sie die Augen und schlief auch schnell ein …
***
Der letzte Fall lag hinter mir, und ich hatte eigentlich gedacht, mal ein paar Tage eine ruhige Kugel schieben zu können, aber das Schicksal hatte es mal wieder anders gemeint.
Ich war von Jane Collins angerufen worden. Sie hatte mich gebeten, zu ihr zu kommen. An ihrer Stimme hatte ich erkannt, dass es sich zwar um einen privaten Besuch handelte, doch mit einem bestimmten Hintersinn. Ich hatte Jane nicht gefragt und war am frühen Abend losgefahren.
»Danke, dass du so schnell gekommen bist«, begrüßte mich die Detektivin.
»Brennt denn der Baum?«
»Noch nicht.«
»Hört sich trotzdem nicht gut an.« Ich gab ihr zwei Küsse auf die Wangen.
»Komm erst mal rein. Hast du schon was gegessen?«
»Nicht in den letzten Stunden.«
»Das habe ich mir gedacht. Wir gehen nach oben, ich habe ein paar Kleinigkeiten aufgetischt.«
»Sehr gut.«
Der Geruch von Kaffee stieg in meine Nase, als ich in die erste Etage ging. Wir setzten uns in das kleine Wohnzimmer, in dem ich schon so oft gesessen hatte, und musste daran denken, dass Jane das Haus jetzt wieder für sich allein hatte, denn die Vampirin Justine Cavallo lebte nicht mehr bei ihr. Die blonde Bestie hatte ihren eigenen Weg eingeschlagen.
Das Fenster war nicht geschlossen. Eine angenehme Frühlingsluft wehte in den Raum, und ich grübelte darüber nach, welche Probleme Jane wohl hatte. Mir fiel im Moment nur die Cavallo ein.
Jane kehrte aus der Küche zurück, sie lächelte mir zu, als sie mit dem großen Porzellanteller auf den Tisch zukam und ihn dort abstellte.
Auf ihm lagen die kleinen Häppchen. Spargel in Schinken gerollt, Lachs auf Toast, mit Käse bestrichene Crackers und ein paar kleine Käsestücke.
»He, das sieht ja fantastisch aus!«, lobte ich.
»Klar. Ich will ja nicht, dass du vom Fleisch fällst.«
Ich hob den Blick. »Du bist aber besorgt um mich.«
»Bin ich doch immer.«
»Und welchen Grund hat es?«, fragte ich gedehnt.
»Den werde ich dir noch nennen.« Jane hatte sich noch nicht gesetzt. Sie klatschte in die Hände. »Du kannst Kaffee trinken, ich habe aber auch einen frischen Rosé. Allmählich fängt die Jahreszeit ja an.«
»Dann nehme ich ein Glas Rosé.«
»Er steht bereits kühl.«
Ich wollte auch etwas tun und fragte: »Soll ich ihn holen?«
»Nein, das lass mal. Du bist mein Gast.«
Ich verdrehte die Augen. »Habe ich es denn verdient, so verwöhnt zu werden?«
»Aber klar doch …« Jane zwinkerte mir zu, verschwand in der Küche und kehrte mit zwei Gläsern und einer Flasche Rosé zurück, die sie bereits geöffnet hatte. Sie stand in einem Behälter, der sie kühlte.
Jane schenkte ein. Ich schaute ihr zu und bewunderte dabei ihr Outfit, das frühlingshaft daherkam.
Sie trug einen gelben Rock. Als Muster war eine Streublumenwiese zu sehen. Als Oberteil hatte sie sich für eine weiße Bluse entschieden.
Wir stießen an.
»Auf uns«, sagte ich.
»Genau, auf uns. Und darauf, dass wir noch lange Zeit am Leben bleiben, trotz allem.«
Ich wunderte mich schon über Janes letzten Satz, fragte allerdings nicht nach, denn ich wusste, dass sie von selbst zur Sache kommen würde.
Zunächst genossen wir den Wein, der sehr gut schmeckte.
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