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1739 - Der Tabubrecher

Titel: 1739 - Der Tabubrecher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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sollten.
    Und nicht nur dies: In gewissen Zyklen sollte ein Raunach Hoher Thean werden, als Bewahrer des BUCHS und als Weiser des Rats.
    Diese Aufgabe fällt nun dir zu, Pi-Poul, auch wenn du dir dessen noch nicht bewußt bist. Aber in dir ruhen alle Eigenschaften, und es ist meine Aufgabe, sie der Reihe nach zu erwecken und auszubilden."
    „Und wenn ich das nicht will?" fragte der Junge vorsichtig nach.
    „Dir bleibt keine Wahl, Kleiner. Es hätte für dich sehr unangenehme Folgen. Außerdem würde deine Familie in Schande fallen und sämtliche Anrechte verlieren."
    „Aber es kann so nicht richtig sein, Ting-Garon."
    „Pi-Poul, es ist nicht schlecht, zu zweifeln. Gerade das wird dich zur Bewältigung deiner schweren Aufgabe befähigen. Doch das darfst du nicht mit der Vernachlässigung deiner Pflicht verwechseln, verstehst du?"
    Pi-Poul ließ den Kopf hängen. „Ja, Meister."
     
    *
     
    Pi-Poul fügte sich, weil er nie etwas anderes gelernt hatte. Auf Geheiß seines Lehrers vergrub er sich in den Lehren Quidors, lernte die Geschichte der Raunach und der Tanxtuunra auswendig und rezitierte sie oft.
    Er trainierte auch seinen Körper, aber er- war von Natur aus nicht besonders kräftig. Deshalb machte es ihm keine Freude.
    Wieviel Zeit verging, bedeutete ihm nichts. Ihm kam es allmählich so vor, als hätte er schon immer im Turm der Gerechtigkeit gelebt, eingeschlossen in dieser Welt. In der ganzen Zeit hatte er nicht versucht, die Treppe wieder hinabzusteigen, in die furchtbare Dunkelheit hinein. Und niemand schien sich je nach ihm zu erkundigen, zumindest behauptete Ting-Garon das.
    Für die Welt draußen existierte er nicht mehr.
    „Was hat es für einen Sinn, mich hier zu isolieren, Meister?" fragte er einmal.
    „Den, daß du irgendwann Thean wirst", hatte Ting-Garon geantwortet.
    Die Zeit wurde Pi-Poul erst dann wieder schmerzlich bewußt, als er in die erste Reife trat. Sein Körper begann sich zu strecken und zu entwickeln, und in seinem Verstand gingen die merkwürdigsten Dinge vor.
    Das ging so weit, daß er seinen Verstand ganz zu verlieren schien. Ein Feuer brannte in ihm, das nicht zu löschen war. Er hatte das Verlangen, durch Dantachs ausgedehnte Wälder zu streifen und kleine Tiere zu jagen, sie zu fangen und zu töten.
    Wochenlang raste er vor Pein schreiend durch den Turm, von einer Kammer in die andere, und wütete dort wie ein Rasender. Er bewegte sich dabei fast auf allen vieren, sein Rückgrat schien sich verkrümmt zu haben, seine Hände deformierten zu Klauen, und seine roten Augen glühten in einem wilden Feuer.
    Es gab nichts, wodurch diese Qual verringert werden konnte, denn sein Verstand war zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. Er schien auf eine primitive Stufe des Daseins herabgesunken zu sein. Er stellte in seinem Wahn irgendwelche imaginären Tiere, über die er herfiel und die er mit Zähnen und Klauen zerfetzte; nur wenn er versuchte, sie zu essen, rebellierten seine Geschmacksnerven. Das war kein sehniges Fleisch oder Blut, sondern Stoff oder Metall. Aus Frustration darüber- setzte er seine Zerstörungsaktion fort, bis er erneut im Jagdrausch durch den Turm tobte.
    Irgendwann wurde das Feuer in ihm schwächer; es erlosch schließlich ganz. Pi-Poul kam inmitten eines Chaos zu sich und schaute sich verstört um.
    Seine Schlafkammer war völlig verwüstet, er selbst war so abgemagert, daß die Knochen durch seine bleiche Haut schimmerten. Er stank erbärmlich, nachdem er sich wochenlang nicht mehr gewaschen hatte, und er trug überhaupt keine Kleider mehr am Leib.
    „Heiliger Quidor...", wimmerte er entsetzt, während er hilflos eine Decke um sich raffte und in eine Ecke kroch. „Was ist denn nur geschehen..."
    „Nichts weiter, mein Kleiner", erklang zum erstenmal seit Beginn seiner Wandlung Ting-Garons Stimme beruhigend von der Projektionswand.
    „Du hast soeben die erste Reife hinter dich gebracht. Du bist jetzt kein Kind mehr. Dein Verstand wird von nun an aufnahmebereiter sein als bisher, schärfer und schneller. Dies machen alle Raunach durch, weswegen sie auch im bestimmten Alter in die Reifezentren gebracht werden, damit sie weder sich noch anderen Schaden zufügen können."
    Pi-Poul strich mit zitternder Hand über sein verschmiertes Gesicht, auf dem sich Tränenspuren zeigten.
    „Und werde ich das noch einmal durchmachen müssen?" fragte er.
    „Nein", antwortete der Lehrer. „Dies nicht. Es war eine Rückwandlung, die nicht wiederkehrt. Kümmere dich jetzt

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