1745 - Die Ketzerbibel
dass Glenda den Trubel an der Cote d’Azur gesucht hat. Sie ist bestimmt ins Hinterland gefahren. In die Berge.«
Da konnte ich nicht widersprechen. Ich merkte, dass ich innerlich langsam hochfuhr und mir auch das Blut in den Kopf stieg. Wir hatten noch keine Beweise, dass es Glenda schlecht ging, aber die Vorzeichen sprachen dafür. Sie war einfach nicht der Mensch, der kurzerhand einen Urlaub verlängerte und nicht im Traum daran dachte, uns Bescheid zu geben.
Wir hatten zwar über die Fahndung gesprochen, aber so richtig konnte sich keiner damit anfreunden. Deshalb entschlossen wir uns, erst mal abzuwarten.
Da wir zu keinem Ergebnis kamen, standen wir auf und verließen das Büro unseres Chefs. Wir fühlten uns beide, als hätte man uns einen Tiefschlag versetzt.
Im Büro sprach Suko mich an. »Und du hast auch keinen Hinweis darauf, wo sie sein könnte?«
»So ist es. Sie hat bewusst nichts gesagt, weil sie ihre Ruhe haben wollte.«
»Kann ich verstehen«, meinte Suko und nahm hinter seinem Schreibtisch Platz. Dann fragte er mich: »Weißt du denn, ob Glenda allein gefahren ist oder in Begleitung?«
»Du meinst mit einem Freund oder einem Bekannten?«
»Das nicht mal, John. Sondern mit einer Reisegesellschaft. Eine Studienreise, zum Beispiel. Das gibt es ja auch.«
Ich winkte ab. »Das glaube ich nicht. Glenda wollte Urlaub machen. Einfach relaxen, und das ist bei einer Studienreise nicht möglich.«
»Stimmt auch wieder.«
Ich saß Suko gegenüber und stützte mein Kinn gegen die Handballen. Zwar sah ich Suko an, aber mein Blick ging ins Leere. Und so fühlte ich mich innerlich auch.
Glenda war mehr als unsere Sekretärin. Sie war so etwas wie unsere Assistentin. Wir weihten sie in die Fälle ein. Sie war immer gut informiert, und das wusste auch die andere Seite. Glenda gehörte zu uns, und deshalb wurde auch sie gehasst. Egal, wer von unseren Feinden sie in den Griff bekam, sie war wirklich die perfekte Geisel, um uns zu erpressen.
Sicher war es allerdings nicht, denn bisher hatten wir von irgendwelchen Feinden nichts gehört.
Mein Blick blieb am Telefon haften. Ich schien es sogar hypnotisieren zu wollen, aber es meldete sich nicht. Und mir war klar, dass ich den Apparat noch länger anschauen würde, obwohl das im Prinzip keinen Sinn hatte.
Es gab jedoch ein gutes Signal. Suko und ich hatten im Moment keinen anderen Fall am Hals. Der lebende Albtraum war von uns vernichtet worden, und wir hatten gedacht, ein wenig Ruhe zu haben. Die hatten wir zwar jetzt, aber es war die falsche Ruhe oder diejenige, die vor dem Sturm kam.
Eine Antwort wussten wir nicht. So blieb uns nichts übrig, als abzuwarten...
***
Es war der letzte Abend vor Glenda Perkins’ Abreise, die sie nur ungern antrat. Gepackt hatte sie bereits. Einen kleinen Koffer und eine Reisetasche. Beide Gepäckstücke standen nahe der Tür direkt an der Wand.
Sie schaute sich im Zimmer um. Es war nicht besonders groß, aber hübsch eingerichtet. Eine Tapete, die einen warmen Farbton zeigte. Dazu die Vorhänge mit dem Blumenmuster. Das Bett mit dem Eisengestell, der hellblaue Schrank, der aussah, als würde er in eine Puppenstube gehören.
Das Bad war ebenfalls winzig, aber das machte Glenda nichts, denn alles in diesem kleinen Hotel verströmte einen wunderbaren Charme, dem Glenda sich von Beginn an nicht hatte entziehen können.
Es gab ein Fenster, das bis zum Boden reichte. Direkt daneben stand die schmale Tür offen, die auf den Balkon führte.
Im Prinzip war es kein Balkon. Dieses kleine Steinpodest mit dem Metallhandlauf bot nur einer Person Platz. Und doch waren an der Brüstung Kästen angebracht, die mit herrlichen Blumen gefüllt waren und vor der hellen Hauswand einen Farbklecks bildeten.
Glenda trat auf diesen Minibalkon. Es war noch hell, und sie wollte so etwas wie einen letzten Blick über die Landschaft werfen, die sie so ins Herz geschlossen hatte.
Das kleine Hotel schmiegte sich an einen Hügel. Von der normalen Straße her führte ein Serpentinenweg zu ihm hoch. Wer mit dem Auto kam, der konnte seinen Wagen auf dem kleinen gepflasterten Platz vor dem Eingang abstellen.
Den sah Glenda Perkins nicht, weil ihr Zimmer an der Rückseite lag. Durch die Höhenlage hatte sie einen besonderen Blick, der über die spätsommerlich geprägte Hügellandschaft bis zur Ebene reichte, in deren Nähe die berühmte Küste Südfrankreichs lag, mit all dem wilden und exzessiven Leben, das Reiche und Schöne aus aller Welt so
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