1756 - Das Grauen hieß Elvira
über Bord geworfen hatte.
Ihr Kleid hatte Linda Boyle ausgesucht. Sie hatte bewusst einen Kontrast zu all dem süßlichen Getue herstellen wollen, und das war ihr auch gelungen.
Zuerst hatten die Kunden noch skeptisch geschaut, aber später waren sie dann mit Elvira ins Gespräch gekommen, und sie hatte ihnen den Grund genannt und sie auch überzeugen können.
Und dann tauchte Linda Boyle auf. Sie war die Chefin in dieser großen Abteilung. Eine Frau von gut vierzig Jahren, recht groß, ziemlich schlank, und durch die hohen Absätze der Stiefel wirkte sie noch etwas größer.
Ihr Haar war dunkelblond gefärbt und so etwas wie eine Mähne, die den Kopf mit dem schmalen Gesicht umgab. Bekleidet war sie mit einem violetten Hosenanzug. Dazu trug sie eine weiße Bluse und einen farbigen Schal um die Taille.
Sie blieb für eine Weile in einer gewissen Distanz stehen, um zu beobachten. Dann erst schlenderte sie auf Elvira Little zu, die leicht erschrak, als Linda Boyle so plötzlich neben ihr auftauchte und eine Frage stellte.
»Na, wie läuft es?«
Elvira wollte etwas sagen, was sie nicht gleich schaffte. Sie wischte etwas verlegen über ihren Mund, aber sie konnte lächeln.
»Ich denke, dass es recht gut läuft«, sagte sie schließlich. »Jedenfalls sind die beiden Kolleginnen nicht arbeitslos, und wir haben auch schon Ware nachordern müssen. Baumschmuck wird am meisten gekauft, aber auch Weihnachtsgeschirr sind wir losgeworden.«
»Das ist gut«, lobte Linda Boyle, »denn das stammte noch vom letzten Jahr. Wir hatten schon Angst davor, dass es zu einem Ladenhüter werden würde.«
»Die müssen Sie jetzt nicht mehr haben.«
»Sehr schön.« Linda Boyle schaute sich um. »Wenn Sie mal eine Pause machen wollen, sagen Sie Bescheid. Ich übernehme dann Ihren Job.«
Elviras Augen leuchteten auf. »O ja, das wäre nicht schlecht. Es wird auch nicht lange dauern, ich muss nur mal einen Schluck Kaffee trinken.«
»Bitte, tun Sie das. Sie kennen ja den Raum neben meinem Büro.«
»Alles klar.«
Ihr taten schon etwas die Füße weh. Das lange Stehen war Elvira nicht gewohnt. Sie wollte nicht länger als eine Viertelstunde wegbleiben.
Neben Linda Boyles Büro befand sich der Aufenthaltsraum. Er war mehr als nüchtern eingerichtet. Kaffee gab es aus dem Automaten. Ebenso wie diverse Kaltgetränke.
Einige Frauen hielten sich an den Tischen auf. Sie waren nicht eben gesprächig. Die harte Arbeit hatte sie geschafft, und so waren sie froh, ihren Kaffee trinken zu können, auch wenn er nicht mehr als eine dünne Brühe war.
Sie ging zum Automaten. Das Kleingeld hielt sie schon in der Hand. Vor ihr holte eine ältere Frau ihren Kaffee. Sie machte einen erschöpften Eindruck und trug den braunen Kittel der Packerinnen. Auch die hatten es in den Tagen vor Weihnachten nicht leicht.
Elvira trank ihren Kaffee. Sie hatte sich etwas abseits hingesetzt und wurde auch nicht beobachtet. Die meisten Frauen waren froh, in Ruhe gelassen zu werden. Dazu zählte auch Elvira Little, die allerdings bald merkte, dass es bei ihr nicht zutraf.
»Wir sind da!«
»Wir haben dich nicht vergessen!«
»Der Spaß geht weiter.«
Elvira Little war nicht mehr entspannt. Sie saß jetzt stocksteif auf dem billigen Plastikstuhl und bewegte nur den Kopf, weil sie etwas gesehen hatte.
Es war keine Kollegin. Es war überhaupt kein Mensch, sondern das, was sie schon kannte.
Schatten!
Sie hatte sie nicht gerufen, nicht bestellt, nicht mal an sie gedacht, aber jetzt waren sie da. Sie huschten über den Boden, der recht hell war, sodass sich die Schatten gut hervorhoben. Und sie waren auf dem Weg zu ihr.
Ausweichen wollte sie ihnen nicht, und sie wusste auch, dass sie es nicht konnte.
Dann waren sie bei ihr. Es ging alles sehr schnell. Sie sah die Schatten noch an ihr hoch huschen, bevor sie verschwanden, aber nicht für alle Zeiten verschwunden waren, denn jetzt steckten sie in ihr und hatten sie übernommen.
Sie war sehr zufrieden. Wenn sie ehrlich sein sollte, dann hatte sie die Schatten bereits vermisst. Jetzt waren sie wieder da, und sie fühlte sich gestärkt.
»Alles klar?«
Sie nickte.
»Bist du bereit?«
»Ja, ich setze meine Zeichen und auch die euren, meine Freunde.«
»So wollen wir das hören«, wisperte die Stimme in ihrem Kopf.
Dann wurde eine Frage gestellt. »Hast du eine Waffe mitgenommen? Wie es dir geraten wurde?«
»Die habe ich.«
»Das ist schon mal gut. Was für eine?«
»Ein Messer.«
Die andere Seite legte
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