1760 - Tödliche Lockung
gelebt und sich dort getroffen hatten.
Leider war Purdys Partner umgebracht worden, und so ging sie allein durch die Welt. Sie fühlte sich dabei auch nicht unglücklich. Man konnte sie mit der Ärztin Maxine Wells vergleichen, einer ebenfalls guten Freundin, die zusammen mit dem Vogelmädchen Carlotta in Dundee lebte.
Ihr Leben stand auf der Kippe, das hatte ich gehört. Ich spürte ein Brennen in den Augen, meine Hände hatten sich zu Fäusten verkrampft, und ich wünschte mir, dass nicht auch noch Purdy starb. Sie hatte viel Blut verloren. Die Ärzte hatten alles getan, und jetzt kam es darauf an, dass ihre Konstitution stark genug war, um überleben zu können.
Aber wer hatte ihr das angetan?
Das war die große Frage, auf die wir eine Antwort finden mussten. Eigentlich war das nicht unsere Sache, hier eine große Aufklärung zu betreiben, denn wir wurden bei anderen Fällen eingesetzt, aber Purdy Prentiss war unsere Freundin und oftmals in gefährliche Lagen mit uns zusammen hineingeraten.
Ich schaute sie an, als ich mich etwas näher an das Bett herangeschoben hatte.
Mein Gott, was sah sie hilflos aus. Sie lag auf dem Rücken. Ihr Kopf drückte das Kissen leicht ein, und ich schaute in ein Gesicht, das so ungewöhnlich blass war. Es hatte nie eine Naturbräune gezeigt. Purdy war eben nicht der dunkle Typ, aber jetzt wirkte sie noch blasser. Bleich wie der Tod.
Der Professor richtete sich auf und bemerkte dabei, dass ich ihn anschaute. Natürlich hatte ich Fragen, die ich nicht stellen konnte, weil er mir zuvorkam.
»Es hat sich nichts verändert, Mister Sinclair. Ihr Zustand ist gleich geblieben.«
»Und? Wie interpretieren Sie das?«
Er verzog die Lippen. »Gleich geblieben heißt, dass er sich nicht verschlechtert hat. Es hätte auch anders sein können.«
»Also kann man Hoffnung haben.«
»Das müssen Sie entscheiden. Ich kann allerdings nicht dagegen sprechen.«
»Das hört sich schon etwas besser an.« Ich bewegte mich auf das Bett zu, und der Professor hatte nichts dagegen. Ich wollte Purdy einfach aus der Nähe anschauen, sie zudem berühren. Es war ja möglich, dass sie etwas spürte.
Erst mal blieb ich stehen und betrachtete ihr Gesicht. Es sah so anders aus, schutzbedürftig, sogar ein wenig verloren, auch viel jünger, eine zarte helle Haut, auf der sich die Sommersprossen verteilten.
Sie atmete ruhig, und trotzdem war es befremdend, auf die beiden Schläuche zu schauen, die in den Nasenlöchern steckten. Den Instrumenten gönnte ich keinen Blick. Ich wollte einfach nur sie sehen und möglicherweise eine Verbindung zwischen uns herstellen. Es konnte durchaus sein, dass sie etwas spürte.
Nein, meine Aura sorgte nicht dafür, dass sie die Augen aufschlug. Sie blieb so ruhig, atmete schwach, aber für ihren Zustand stark genug, und ich konnte nicht anders. Ich musste ihr einfach ein Zeichen geben, dass ich bei ihr war. Möglicherweise erreichte ich auch etwas damit. Und so führte ich meine Hand gegen ihre Wange. Die Finger zitterten leicht, als ich sie gegen die weiche Haut drückte. Es war nur eine schwache Berührung. Ein kleiner Trost, auch für mich. Ich wollte ihm noch ein paar wenige Worte hinzufügen, die aber blieben mir praktisch im Halse stecken, als ich sah, wie Purdy Prentiss sich bewegte. Das ist vielleicht zu viel gesagt. Sie zuckte leicht an den Wangen, was nur ich bemerkte, und zugleich hatte ich den Eindruck, dass sie mir etwas mitteilen wollte.
Wie ich dazu kam, das zu denken, wusste ich selbst nicht. Es war einfach so.
Und dann passierte noch etwas, das mich an ein kleines Wunder glauben ließ.
Purdy Prentiss schlug die Augen auf!
Das begann mit einem leichten Flattern der Augendeckel, dann war sie so weit und schaute mich an. Ich wusste nicht, ob sie mich erkannte, aber durch meinen Körper zuckte ein Strahl der Freude.
Sie schaute mich tatsächlich an!
Ich schnappte nach Luft. Dann hatte ich mich so weit gefangen, dass ich ihren Namen flüstern konnte.
»Purdy...«
Sie gab mir keine Antwort, das wäre auch zu viel verlangt gewesen, aber sie hatte mich gehört. Ich sah es ihr an. Es war das winzige Lächeln auf den Lippen, das ich als Zustimmung betrachtete. Es blieb weiterhin ein Gefühl der Freude in mir, aber es schwächte sich zum großen Teil auch wieder ab, als sich die Augen der Staatsanwältin wieder schlossen. Purdy konnte nicht mehr.
Und ich?
Ja, ich stand gebückt neben ihrem Bett, schaute in das blasse Gesicht und spürte doch in mir ein Feuer.
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