1772 - Zug der Herrscher
bestraft werden."
Deliga war seine persönliche Beraterin. Karon schätzte ihre weisen Ratschläge, fühlte sich aber ihrer Klugheit unterlegen und kompensierte seine Minderwertigkeitsgefühle, indem er sie häufig mißhandelte und demütigte. Daß die Sydor-Sklavin stumm alle Schikanen erduldete, versetzte ihn mitunter sogar in Raserei.
„Ruf Deliga her!" bellte er.
Die Sydorrierin erschien sofort. Obwohl sie sich Mühe gab, ihr Erschrecken zu verbergen, entging es Karons lauerndem Blick keineswegs, daß sie flüchtig zusammenzuckte. Deliga hatte wohl nicht erwartet, die Kanzlerin und den Fürsten gemeinsam zu sehen.
„Du hast deine Pflichten verletzt!" keifte Zirrin.
Die Sydor-Sklavin überragte beide Hamamesch um mehr als Haupteslänge. Trotzdem - oder vielmehr gerade deswegen - gab sie sich Mühe, nicht von oben herab zu schauen. Sie wölbte die Leibesmitte noch weiter nach vorne und krümmte den Nacken. Die langen Wimpern deckten ihre dunklen Augen fast zu; ihr Blick wirkte trotzdem weder schamhaft noch wie ein Schuldgeständnis.
„Du hast mich kompromittiert", versetzte Karon.
Die Sydorrierin war klug, eloquent und scheu, vor allem wußte sie, daß Widerspruch die Hamamesch nur weiter reizen würde. Aber gerade dieses devote Verhalten brachte Karon noch mehr in Rage. Er gab die Schuld an seinem unbefriedigenden Treffen mit Mossa inzwischen ausschließlich Deliga.
„Dein Herr wurde im Bad gestört", stieß die Kanzlerin hervor. „Dafür sollte ich dich hinrichten lassen."
Mit einer Hand strich Deliga über ihren bronzefarbenen Knochenkamm, der sich über den Kopf bis weit in den Nacken hinzog. Sydorrier waren Luxussklaven und Statussymbol, entsprechend ehrfürchtig wurden sie im allgemeinen behandelt. Die Kanzlerin würde nicht wagen, sie zu töten.
Sydorrier hatten schon nach der Beendigung der Olkheol-Kriege vor 1200 Jahren und den Friedensverträgen von Pendregge ein gewichtiges Wort in Hirdobaans Politik mitgeredet; es hieß sogar, daß die Hamamesch diesen Friedensschluß und somit ihr Überleben einzig und allein der Klugheit der Sydorrier zu verdanken hatten. Aber wer hörte das schon gerne?
„Du haßt mich, Kanzlerin", sagte Deliga. „Glaub nicht, daß mir das in all den Zehnern, die ich auf Riau diene, entgangen ist. Du bist ungerecht zu mir, weil du meine Klugheit fürchtest."
„Schweig!" befahl Zirrin.
Aber Deliga ließ sich diesmal nicht das Wort verbieten. Zu lange hatte sie die Launen der Kanzlerin schon ertragen, die Schikanen, die ihr das Leben im Palast mit jedem neuen Tag schwerer machten. Sydor-Sklaven galten als überaus scharfsinnig, stolz, unnahbar, ehrlich und treu; auf Riau schienen die Hamamesch davon nichts wahrhaben zu wollen.
„Sag selbst, Zirrin, wie hätte ich einen Maschtar zurückhalten sollen?" fragte Deliga. „Das kann niemand."
„Deine Aufgabe wäre es gewesen, Karon von Omgenoch rechtzeitig zu informieren."
„Rechtzeitig ist ein dehnbarer Begriff."
„Widersprich mir nicht, Sklavin. Ich hasse es, wenn ..."
„Du suchst doch nur verzweifelt nach einem Grund, mir deine Überlegenheit zu beweisen, Kanzlerin. Wie soll ich dir versichern, daß ich weder nach deiner Macht strebe, noch daß es mir fern liegt, deine Kompetenz anzuzweifeln? Du hast mir von Anfang an keine Gelegenheit dazu gelassen, weil du mich haßt." Trotz ihrer Erregung hatte die Sklavin sich nicht dazu hinreißen lassen, den Tonfall zu ändern. Ruhig und sachlich, als diskutiere sie lediglich über den nächsten Schneesturm auf Moleiir, so hatte sie gesprochen.
Trotzdem hastete Karon auf sie zu. Erst dicht vor ihr blieb er stehen, sein kahler Schädel rammte gegen ihren vorstehenden Mund, und er umklammerte ihre Oberarme mit schmerzhaftem Griff. In einem Wutanfall schüttelte er die Sydorrierin.
„Wann wirst du lernen, dich zu benehmen?" keuchte er. „Es ist nicht Aufgabe der Sklaven, störrisch und widerspenstig zu sein. Ich werde mir überlegen, wie ich dich bestrafen kann."
Deligas Kopf pendelte haltlos hin und her. Sie hatte bisher nicht erlebt, daß Karon seinen Zorn derart handgreiflich austobte.
„Du tust mir weh!" brachte sie stockend hervor.
Aber der Handelsfürst lachte nur. Sein Griff wurde härter.
„Du bist meine Sklavin, Deliga, mein Eigentum, mit dem ich nach Gutdünken verfahren kann.
Vergiß das nicht!"
Er würde ihr die Arme brechen. Das spürte sie. Der Schmerz ließ schon jetzt blutrote Schleier vor ihren Augen tanzen.
„Ich bin die Sklavin eines
Weitere Kostenlose Bücher