1784 - Geisterauge
Fensterbank und tat erst dann das, wonach ihr schon lange zumute gewesen war.
Sie schaute hoch.
Über ihr gab es die Decke, und Sarah rechnete damit, dass zwischen ihrem Kopf und der Decke das Auge seinen Platz eingenommen haben würde.
Das war nicht der Fall.
Aus dem Mund des Mädchens strömte ein leises Lachen. Damit hatte Sarah nicht gerechnet. Das Auge war nicht mehr da. Es hatte sich zurückgezogen und schien jegliches Interesse an ihr verloren zu haben. Sie konnte es nicht fassen, drehte ihre Kreise und blickte weiterhin gegen die Decke.
Da war kein Auge mehr.
Es hielt sich auch kein Auge am Rand der Tür auf, es war einfach nicht mehr da, und eigentlich hätte Sarah jubeln können, was sie nicht tat, denn das Misstrauen blieb.
Im Halbdunkel blieb sie sitzen und wartete darauf, dass sich etwas tat. Das war nicht der Fall. Es blieb alles, wie es war. Kein Auge malte sich unterhalb der Decke ab, und Sarah hörte auch keine fremde Stimme, die versuchte, sie wegzulocken.
Was tun?
Am besten wäre es gewesen, wenn sie das Auge ignoriert hätte. Gedanklich zumindest, aber das war ihr nicht möglich. Es war immer in ihren Gedanken präsent, sie konnte es nicht verbannen, aber das geheimnisvolle Auge kehrte nicht mehr zurück.
Dafür erlebte sie etwas anderes. Sie spürte plötzlich eine so starke Müdigkeit, die ihre Beine schwer werden ließ. Da war es am besten, wenn sie sich für eine Weile hinlegte. Sie wollte sich noch nicht für die Nacht fertig machen, deshalb zog sie sich auch nicht aus.
Nicht mal die weichen Sneaker streifte sie ab. Rücklings fiel sie aufs Bett und blieb dort liegen. Sie hatte vor, sich ihren Gedanken hinzugeben, doch das schaffte sie nicht, denn die Augendeckel wurden ihr schwer und fielen von ganz allein zu.
So sank sie sofort in einen tiefen Schlaf, der sicherlich bis zum anderen Morgen gedauert hätte, hätte sie nicht plötzlich etwas geweckt.
Es war wie ein Stich, der sie erwischte. In ihrem Kopf hörte sie so etwas wie ein Wecksignal, das sie zunächst ignorierte und einfach weiterschlief.
Das ging nicht lange gut.
Erneut war in ihrem Kopf das Signal zu hören. Es ließ sich nicht bestimmen und auch nicht beschreiben, es war einfach vorhanden und sorgte diesmal dafür, dass Sarah die Augen öffnete.
Sie schaute hoch.
Über ihr lag die Decke wie ein nicht ganz dunkel gewordenes Stück Himmel. Es gab keine Erinnerung für sie, Sarah fühlte sich nur hellwach und trotzdem kaputt. Es würde ihr schwerfallen, aus eigenem Antrieb wieder hochzukommen, und so blieb sie zunächst liegen, fragte sich aber, wer oder was sie geweckt haben könnte.
Sie fand keinen Grund.
Bis plötzlich etwas anderes passierte. Über ihr bekam die Dunkelheit ein Loch. So sah es jedenfalls aus. Aber das Loch war nicht mit einem Mond zu vergleichen, es veränderte sich, es verlor auch seine Rundung und nahm eine andere Form an.
Es bekam die eines Auges mit der runden Pupille in der Mitte. In einem kalten Grün schimmerte es, hinzu kamen die Schwärze in der Mitte des Auges und der hellere Rand drum herum. Es war das Auge, das sie bereits kannte. Sie hatte es nicht vergessen, das war gar nicht möglich. Sie hatte den Kontakt zu ihm nur unterdrückt.
Das Geisterauge starrte direkt auf sie nieder, als wollte es die Liegende hypnotisieren.
Aber das passierte nicht. Sie spürte in ihrem Innern so etwas wie eine Kraft, die so stark war, dass es ihr gelang, auf die Beine zu kommen.
Sie hatte sich einfach aus ihrem Bett gedreht und dachte längst nicht mehr an Schlaf.
Neben dem Bett blieb sie erst mal stehen. Unsicher fühlte sich Sarah nicht. Sie hatte den Eindruck, keine Angst mehr zu haben, da gab es nichts mehr, das ihr Furcht einjagen konnte, auch das Auge nicht. Sie empfand es sogar als befreiend und hätte sich geärgert, wenn es nicht mehr da gewesen wäre.
Plötzlich war auch wieder die Stimme da.
»Bist du bereit?«
»Ja, das bin ich.« Sie hatte geantwortet, ohne zu wissen, was es bedeuten konnte.
»Das ist gut.«
Diesmal sagte Sarah nichts. Sie konnte sich vorstellen, dass sie in diesen Augenblicken den Anfang von etwas Bestimmtem erlebte, das sehr wichtig für sie sein konnte.
Was würde passieren?
Man ließ ihr Zeit. Aber sie brauchte nicht lange nachzudenken, denn die Stimme war wieder da.
»Komm mit.«
»Und wohin?«
»Zum Fenster.«
Was es bedeutete, das wusste sie nicht. Sarah machte sich auch keine weiteren Gedanken darüber, denn sie tat, was man ihr aufgetragen hatte,
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