1795 - Der Beißer
»Du wirst es machen wie immer«, sagte die Frau.
Der Mann im Fond stimmte zu. Dabei reichte ihm ein knappes Räuspern.
»Sehr gut. Der Mann muss tot sein. Du kannst ihn ausbluten lassen.«
»Ich will aber trinken!«
»Ja, das kannst du auch.« Die Frau lenkte die schwere Limousine an den Straßenrand und stoppte das Fahrzeug. »Ich will, dass dich niemand sieht. Du musst wie ein Schatten sein.«
»Ich bin wie ein Schatten.«
»Ausgezeichnet. Und vergiss nicht, wer dich letztendlich schützt und für wen du arbeitest.«
»Ja, für den Meister. Für ihn. Für Rasputin, der mich geprägt hat.« Die Stimme hatte einen anderen Klang angenommen. Sie hörte sich schon schwärmerisch an. »Es ist mir eine Ehre gewesen, so nahe bei ihm sein zu dürfen. Dessen bin ich mir bewusst.«
Die Frau am Lenkrad nickte lächelnd und lehnte sich zurück. Sie hoffte, alles richtig gemacht zu haben. Mit Horvath saß jemand in ihrem Wagen, der praktisch gezüchtet worden war. Er war kein Vampir, er war auch kein Zombie, er sah aus wie ein Mensch und war ein Konglomerat aus allen dreien.
Er war gefährlich. Er kannte keine Gnade und nahm auf sich selbst keine Rücksicht. Er ging immer den geraden Weg. Er wollte es allen zeigen und war begierig darauf, andere Menschen zu töten.
In dieser Nacht war er unterwegs. Und die Frau, die ihn fuhr, war ebenfalls eine besondere Person. Sie hieß Chandra und wurde auch die Kugelfeste genannt. Der Name traf voll zu, denn durch einen dämonischen Hexenzauber war sie zu dem geworden, was sie jetzt war. Und sie stand voll und ganz auf der Seite Rasputins, denn sie hatte mitgeholfen, ihn zurück ins Leben zu holen. Er war wieder da und hatte auch seine Anhänger gefunden, die ihn niemals vergessen hatten. Es lag auf der Hand, dass er nach der Macht strebte und das russische Riesenreich gern regieren würde. Doch so einfach war das nicht. Man musste in kleinen Schritten vorgehen. Zudem hatten die Erben Rasputins Feinde. Und das nicht nur hier in Russland, auch in einem anderen Staat Europas.
Dort, wo der Wagen stand, war es finster. Baumkronen wölbten sich über die Fahrbahn. Ab und zu fuhr ein Windstoß in sie hinein und schüttelte sie durch. Aber die Blätter saßen noch fest an den Zweigen. Sie fielen noch nicht ab, und so war nur hin und wieder ein Rauschen zu hören.
Licht gab es nicht in der Nähe. Hier standen keine Laternen. Es gab auch keine Häuser, hinter deren Fenstern es hell schimmerte. Es war nur die feuchte Straße zu sehen, deren Oberfläche einen leichten Glanz abgab.
Chandra drehte sich kurz um. »Du kennst den Weg, obwohl es so finster ist?«
»Ja.«
Sie nickte. »Gut, dann kannst du jetzt gehen. Ich werde hier eine Stunde lang auf dich warten. Solltest du bis dahin nicht zurück sein, muss ich fahren, weil ich dann davon ausgehen muss, dass du es nicht geschafft hast.«
»Ich habe verstanden.«
Chandra nickte. »Dann geh jetzt. Tu deine Pflicht. Auch im Namen Rasputins.«
Darauf hatte Horvath gewartet. Er öffnete die Tür, stieg aus dem Fahrzeug und richtete sich neben ihm wieder auf. Für Chandra sah es aus, als hätte sich ein Riese gestreckt, denn der Beißer war schon recht groß. Allerdings nicht so groß wie die Bäume, zwischen denen er gleich darauf verschwunden war …
***
Der Mann hieß Schukow, war ein Kerl wie ein Baum und einer, vor dem man Respekt haben musste. Er arbeitete in dem Reha-Zentrum als Pfleger und hatte es im Laufe der Zeit geschafft, sich zum Chef des Personals hochzuarbeiten.
Schukow war sehr beliebt, denn er besaß eine starke Empathie. Er konnte sich sehr gut in andere Menschen hineinversetzen, hatte Verständnis, suchte immer nach Lösungen bei Streitfragen und kam deshalb gut an. Bei den Mitarbeitern und auch bei den Ärzten der Klinik.
Und bei den Patienten sowieso. Sie liebten diesen großen Mann, der so herrlich lachen konnte und dem vor nichts bange war. Er tat, was er konnte, und legte noch immer eine Schippe drauf.
So war es auch an diesem Abend. Er hatte einem Kollegen versprochen, für ihn die Nachtschicht zu übernehmen, weil der sich um seine kranke Mutter kümmern musste, die kurz vor dem Sterben stand.
Schukow übernahm die Station. Er kannte hier jeden Patienten. Besonders aber einen Mann namens Wladimir Golenkow, der hier zur Rehabilitation untergebracht war und verzweifelt versuchte, wieder zurück in die Normalität zu gelangen. Das heißt, er wollte seine Lähmung loswerden und wieder laufen können.
Das war
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