1796 - Rückkehr der Sydorrier
ironischen Unterton. „Nachdem du mich verlassen hattest, mußte ich mich allein gegen Kanzler Ebbiddim durchsetzen, wie du weißt. Um meinen Thron zu behalten, hatte ich keine andere Wahl."
Er legte die schweren Hände auf seinen immer noch imposanten Bauch.
„Und die Abmagerung erfolgte zwangsläufig durch die Gefangennahme", fügte er hinzu. Er blieb stehen und griff zögernd nach Kamheles schmaler, feingliedriger Hand.
„Ich habe immer gewußt, daß du etwas Besonderes bist", sagte er aufrichtig. „Aber ich hoffe, daß dadurch nicht all die Jahre, die du an meinem Hof verbracht hast, zu Lügen geworden sind."
„Ich habe dich niemals belogen", beteuerte Kamhele. Sie drückte Jeschdeans Hand, bevor sie sich aus dem Griff löste. „Meine Freundschaft zu dir besteht nach wie vor, und bis zu einem gewissen Grad hat sich auch nichts an meiner Loyalität geändert. Nur bin ich jetzt nicht mehr deine Sklavin. Aber du kannst sicher sein, daß ich nicht gegen deine Interessen handeln werde." Sie bewegte leicht den Kopf zu der Eskorte, die sie durch die MONTEGO BAY führte.
„Wir sollten weitergehen, denn wir werden erwartet."
Einige Zeit gingen sie schweigend weiter, dann begann Fürst Jeschdean von neuem: „Belogen hast du mich vielleicht nicht, aber eine Menge verschwiegen."
„Das kannst du mir nicht verdenken. Ich konnte dir schließlich in meiner Position als Leibeigene nicht gestehen, daß ich seit meiner Ausbildung der Geheimloge der Sydorrier angehörte, die sich mit der Entmachtung der Maschtaren,befaßte."
„Ebbiddim hatte jedenfalls recht mit seinem ewigen Mißtrauen dir gegenüber."
„Aber er wußte nicht, worauf sich das begründete. Er ist einfach nur machthungrig, Jeschdean. Und ihm gefiel nicht, daß ich dich stets schützte und seine ständigen Intrigen rechtzeitig durchschaute."
„Er spielt jetzt keine Rolle mehr." Jeschdean schmatzte mit wulstigen Fischlippen. „Mich beunruhigt vielmehr, was nun aus uns werden wird." Er meinte die Machtstellung der Handelsfürsten.
„Mach dir keine Sorgen", sagte Kamhele ruhig. „Daß du als Sprecher der Handelsfürsten mit mir an einem Tisch sitzt, vereinfacht alles sehr. Wir kennen uns lange genug. Ich denke, daß ich einen Vorschlag habe, der allen Teilen gerecht werden wird."
„Du bist sehr gut vorbereitet, nicht wahr?"
Kamhele drehte den schmalen, von einem hohen gelbrot marmorierten Kamm gekrönten Kopf zu ihrem ehemaligen Herrn.
„Mein ganzes Leben lang", antwortete sie stolz, und es klang fast wie ein feierlicher Gesang.
„Ich wurde zu keinem anderen Zweck ausgebildet als zu diesem, sobald der weise Kryomon, mein Lehrmeister, meine Fähigkeiten erkannt hatte. Ich war noch fast ein Kind, als er mich in seine Obhut nahm und mich in die Geheimloge der Sydorrier einführte. Wir wußten, daß die Sydorrier einst zu einem anderen Leben bestimmt gewesen waren. Der Beweis dafür lag darin, daß wir keine Erinnerung an eine Vergangenheit hatten. Irgendwann einmal muß etwas geschehen sein, das uns das Wissen über unsere Entstehung nahm und uns in die Sklaverei brachte. Daß das nur die Maschtaren gewesen sein konnten, lag nahe, denn allein sie hatten die unumschränkte Macht dazu besessen. Die Handelsfürsten der Hamamesch hatten selbst keine Aufzeichnungen über den wahren Ursprung meines Volkes. Nun hat sich endlich alles geklärt."
„Wie du das alles so sagst ... Du mußt uns sehr verachten", meinte Jeschdean unglücklich.
„Aber nein", widersprach Kamhele und gab ihrer hellen, angenehmen Stimme die entsprechende sanfte Färbung, die den Fürsten stets rasch beruhigte. „Sydorrier verachten niemals jemanden. Wir haben uns nur den allmächtigen Maschtaren widersetzt, und nur mit Recht, wie sich herausgestellt hat."
Der Hamamesch-Fürst bedachte seine ehemalige Ratgeberin mit einem langen, nachdenklichen Blick und seufzte dann tief. „Nie werde ich dich verstehen lernen, nicht einmal jetzt unter diesen Umständen."
„Ist das so wichtig?" stellte Kamhele die Gegenfrage.
Jeschdean war so verblüfft, daß ihm keine Entgegnung einfiel. Die Sydorrierin hatte die Frage ernst gemeint, nicht sarkastisch.
Schließlich sagte er zögernd: „Selbstverständlich, wenn ... wenn ihr in Zukunft die politischen Geschicke Hirdobaans in Händen halten werdet."
„Keine Sorge", wiederholte Kamhele nur.
Ihre Stimme klang jetzt so unpersönlich und fast abwesend wie immer. Auch ihre Augen waren wieder halb geschlossen.
*
Kamhele und
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