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erkennen. Dort draußen wechselten inzwischen wieder die Redner.
„Nein. Glaube ich kaum. Sie werden nicht mal nächstes Jahr kommen, falls ich dann meinen Schulabschluss in der Tasche habe. Zum einen würden sie nicht glauben, dass ich es tatsächlich geschafft hätte die Schule zu beenden, zum anderen wäre es ihnen peinlich, dass ich so lange dafür gebraucht habe. Soviel ich weiß, ist aber meine Schwester hier.“
„Du hast eine Schwester?“
„Ja, klar. Irgendwie hat doch jeder eine Schwester.“
„Ich nicht. Ich habe nicht mal einen Bruder. Du hast mir nie von einer Schwester erzählt.“ Ich konnte mich auch nicht erinnern, jemals bei ihm daheim gewesen zu sein. Pat war ein Freund ohne eigenes Zuhause. Wir hatten uns nur bei mir getroffen oder in Kneipen oder woanders. Nie bei ihm.
„Sie ist die Hoffnung meiner Eltern. Sie macht die Schule in der Hälfte der Zeit.“
„Ist sie älter?“
„Nein. Jünger natürlich, sonst könnte sie ja nicht ...“
„Wie heißt sie?“
„Ann. Sie ist nicht dein Typ.“
„Ich kenne keinen Fall, wo es keinen Streit gegeben hätte, nachdem der beste Freund mit der Schwester des Freundes rum gemacht hat“, sagte ich. Ich nahm einige Schlucke aus der Flasche. Pat betrachtete weitere Modelle in den Regalen auf ihre Tauglichkeit für Unfug.
„Das stimmt insofern nicht, als du ab dem Moment, wo du mit meiner Schwester rummachst, nicht mehr mein bester Freund sein würdest.“
„Bist du jetzt schon eifersüchtig?“
„Nein. Ich würde Josefine erzählen, dass du mit meiner Schwester losziehst. Und dann wäre Schluss mit Freundschaft.“
Josefine war meine Freundin. Glaubte ich zumindest. Ich hatte ihr gesagt, dass wir einen Auftritt planten.
„Du würdest dich sofort an Josefine ranschmeißen? Du bist fertig.“
„Was heißt ranschmeißen? Ich würde ihr nur die Tatsachen erzählen. Dir würde es doch egal sein. Du hättest meine Schwester. Je länger ich darüber nachdenke, desto besser gefällt mir die Konstellation. Ich kann ihr ja erzählen, dass du bereits versucht hättest, dich an meine Schwester ranzumachen. Josefine würde sich sofort in mich verlieben. Noch mehr verlieben.“
Er hatte einen Kartenständer ergriffen, und ihn wie einen Mikrofonständer zu sich herunter gezogen. Er probte einige Gesten, stieß mit der Hand in die Luft, bog sich nach hinten und all die anderen Mick-Jagger-Sachen. Es gab definitiv für unseren Auftritt noch andere Probleme als meinen Vater.
„Ich bin gespannt, ob sie nachher in der ersten Reihe steht. Falls sie nicht dort steht, ist der Deal perfekt. Deine Schwester gegen Josefine. Wenn sie dort steht, werde ich sie mein Leben lang verehren und heiraten und Kinder bekommen. Glaubst du an Schicksal?“, fragte ich und schloss kurz die Augen.
Als ich sie wieder öffnete, stand Pat auf einem Bein, weit vornüber gebeugt, die Arme wie ein Flieger links und rechts von sich gestreckt. Den Mikrofon-Kartenständer hielt er als Stütze in einer Hand. Er sprach lautlos in sein Kartenständermikrofon und grüßte enthusiastisch die Menge in der ausverkauften Arena.
„Du siehst gerade in deine Zukunft“, sagte ich.
„Ich trainiere. Solltest du auch tun. Eigentlich stehe ich auf die Mädchen in der ersten Reihe. Deshalb bin ich doch Musiker geworden. Ich will dort oben stehen und singen, und die Mädchen in der ersten Reihe sollen mich anstarren, und dann sollen sie zwischendurch hysterisch kreischen, bevor sie in Ohnmacht fallen, um in meine Kabine getragen zu werden.“ Er schwenkte sich zurück in eine stabilere Position und machte eine ausladende Armbewegung im Raum. „Oder in meinen Bulli.“ Er meinte seinen klapprigen VW-Bus, der so oll war, dass er ihn nicht mal abzuschließen brauchte.
„Was machen wir nun?“, fragte er. „Falls sie in der ersten Reihe steht, fahren wir beide auf sie ab, falls sie nicht in der ersten Reihe steht, fahren wir beide nicht auf sie ab. Wir haben ein Problem.“
„Wir haben kein Problem. Ich habe es mir anders überlegt. Ich lege dich um, wenn du was mit Josefine anfängst.“
„Wir ziehen uns jetzt mal passend an“, sagte er, ohne mich anzusehen. Ich stemmte mich am Tisch hoch, belastete leicht meinen Knöchel. Es tat nicht so weh, wie ich vermutet hatte.
„Ich haue dir mit einem Schlag alle Zähne aus“, sagte ich. „Und denk an Molli.“ Molli war seine Freundin, oder diejenige Person, die man am ehesten so bezeichnen konnte.
Pat beugte sich vornüber zu seiner
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