1809 - Werwolf-Falle
schon aufgefallen. Die Frau schien Probleme zu haben, doch danach gefragt hatte ich sie noch nicht. Jetzt waren ihre Augen noch mehr gerötet.
Sie wich meinem Blick aus, dann schaute sie schnell zur Seite und griff nach einer neuen Tischdecke. Damit ging sie zu einem Tisch am Fenster. Ich folgte ihr, und sie musste mich einfach anschauen, weil ich nah bei ihr stehen geblieben war.
»Es geht mich ja eigentlich nichts an, Frau Schneider, aber es ist nicht zu übersehen, dass Sie Sorgen haben. Stimmt es?«
»Kann sein.«
»Okay. Sollten Sie nicht darüber sprechen? Das ist manchmal besser, man fühlt sich dann erlöst.«
Sie wich meinem Blick aus. »Das möchte ich nicht.«
»Warum nicht? Manchmal ist es besser, wenn man über seine Sorgen redet.«
»Ja, schon, aber Sie sind fremd.«
»Das kann sogar von Vorteil sein. Ein Fremder ist nicht voreingenommen.«
Ulrike Schneider überlegte. Sie war sich unschlüssig, sie krampfte ihre Finger in die Tischdecke und schaute dann bewusst an mir vorbei. Ihr Blick verlor sich.
Ich drängte sie auch nicht weiter und wartete, bis sie sich entschieden hatte. Dann brach es plötzlich aus ihr hervor, und sie sagte nur einen Satz, der aber hatte es in sich.
»Meine Tochter ist seit drei Tagen spurlos verschwunden!«
***
Das also war es. Deshalb hatte sie geweint. Ich konnte Ulrike Schneider verstehen. Sie stand noch immer neben mir und atmete schwer. Dabei vermied sie es, mich anzuschauen.
Ich hatte ihre Worte noch in den Ohren und plötzlich durchzuckte es mich, denn ich dachte an den Werwolf, der hier angeblich sein Unwesen treiben sollte.
Gab es da einen Zusammenhang mit dem Verschwinden der Tochter? Es war nur ein kurzer Gedanke, mehr nicht. Ich hatte keinen Beweis dafür, aber seltsam war es schon.
»Ja, so ist das, Herr Sinclair.«
Auch Harry hatte gehört, was gesagt worden war. Er kam herbei und fragte: »Haben Sie denn keine Idee, wo sie hätte sein können?«
Frau Schneider presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. »Ich habe ja alles versucht«, sagte sie nach einer Weile. »Wirklich alles. Bei ihren Freundinnen und Bekannten angerufen, aber niemand hat sie gesehen. Sie hat sich auch mit niemandem getroffen in der letzten Zeit, sie ist einfach weg. Gegangen und nicht wieder zurückgekommen. So einfach ist das.«
»Ja, so einfach«, murmelte Harry und wandte sich an mich. »Was meinst du dazu?«
Ich hob die Schultern. »Auch wenn du mich steinigst, Harry, ich habe keine Ahnung.« Ich wandte mich wieder an Frau Schneider. »Hätte sie denn einen Grund haben können, plötzlich zu verschwinden? Einfach so wegzulaufen?«
»Nein, den hatte sie nicht.«
»Aha.«
»Ich bin mir da auch sicher.«
»Was hat Ihre Tochter denn beruflich gemacht?«
»Sie ist bei der Tourist-Information angestellt. Ein ganz normaler Job und kein Grund dafür, einen Menschen einfach zu entführen.«
»Aha. Und das, meinen Sie, ist passiert?«
»Ja, damit rechne ich. Sie ist jetzt fast vier Tage verschwunden. Ich habe keine Nachricht erhalten. Auch keine Forderung nach Lösegeld.«
»Was Sie, schätze ich mal, auch nicht hätten bezahlen können.«
»Ja, das ist so.«
Harry Stahl fragte: »Wer hätte denn noch etwas davon gehabt, Ihre Tochter zu entführen?«
»Das weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, ob man sie entführt hat oder ob sie von allein verschwunden ist.«
»Es hätte also keiner etwas davon gehabt?«
»Nein. Nicht, wenn es um Lösegeld gegangen wäre. Ganz bestimmt nicht.« Sie wischte über ihre Augen. »Ich kann es einfach nicht begreifen.« Wieder zog sie die Nase hoch. »Und meine Tochter ist nicht wichtig genug, dass man einen Trupp zusammenstellen würde, um nach ihr zu suchen. Bei einem Kind ist das was anderes, was ich auch verstehen kann. Aber bei einem normalen Menschen, der kein Politiker ist? Da sieht man das mit anderen Augen.«
Wir gingen auf die Beschwerde nicht ein. Stattdessen richtete Harry eine weitere Frage an sie.
»Haben Sie denn keinen Verdacht, wo sie hingegangen sein könnte? Zu einem Freund, den Sie nicht mögen und …«
»Nein, ganz bestimmt nicht.«
»Hatte sie keinen Freund?«
»Im Moment nicht.«
»Aber sie hatte einen?«
Frau Schneider schaute mich an und nickte. »Na ja, Freund ist zu viel gesagt. Justus war hinter ihr her, aber er war nicht Helenes Typ.«
»Und wie ist sein Name?«
»Justus Baum.«
»Und?«
»Was meinen Sie?«
»Wohnt er auch hier im Ort?«
»Ja, er ist der Sohn unseres
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