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181 - Der ewige Turm

181 - Der ewige Turm

Titel: 181 - Der ewige Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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Stimmen laut. Das Getuschel, Geflüster und Geheule auf der Galerie verstummte. Alle huschten zur Balustrade, etwa hundertsechzig Männer, Frauen, Greise und Kinder. Die sich in die erste Reihe wagten, spähten nach unten. Der Scheiko palaverte mit den Turmboten: Der halbe Mond sei schon vorbei, die Zeit bis zum nächsten Vollmond viel zu knapp, überhaupt seien die Moscherunen noch nicht an der Reihe, und dann der geburtenschwache Jahrgang, und so weiter, und so weiter.
    Reezars Boten hörten sich das Hände ringende Gezeter des alten Scheiko an. Als er endlich verstummte, hob einer von ihnen seinen Säbel und deutete zu den zerbrochenen Fenstern der Galerie hinauf, und zwar zu der Stelle, wo man hinter dem halbblinden Buntglas die Umrisse der Turmruine erkennen konnte. »Ein Mädchen. Zum ewigen Turm. Am Morgen nach dem nächsten Vollmond.«
    »Habt doch Erbarmen mit unseren armen Töchtern!«
    Der Scheiko fiel auf die Knie und streckte flehend die Arme aus. »Habt doch einmal Erbarmen…!«
    Der Sprecher der Boten machte eine knappe Kopfbewegung. Einer der anderen beiden Säbelträger ging zum Scheiko, holte aus und ließ die Klinge so dicht an dessen Gesicht vorbeizischen, dass der Greis sich flach auf den Rücken fallen ließ. Mit offenem Mund und aus vor Entsetzen geweiteten Augen starrte er den Turmboten an. Aus einer feinen Wunde quer über seiner Stirn sickerte Blut.
    »Ein Mädchen zum ewigen Turm, nach dem nächsten Vollmond«, wiederholte der Sprecher. »Sonst holen wir alle und verbrennen euch anderen samt der Moscherune!«
    Die Turmboten blickten zur Galerie hinauf. Stumm wichen die Männer und Frauen von der Balustrade zurück. Die drei Vermummten steckten ihre Säbel in die Rückenscheiden, stapften durch den Innenhof in die Moscherunenhalle und von dort ins Freie.
    Sayona und Ballaya lauschten, bis ihre Schritte verhallt waren. Dann fielen sie sich wieder aufschluchzend in die Arme. Die meisten Frauen weinten jetzt laut, viele Kinder ebenfalls, und sogar einige Männer.
    »In dreizehn Tagen!«, jammerte Eynaya. »Noch zwölf Tage also, bis das Los geworfen wird! Noch zwölf Tage!«
    Sie fiel auf die Knie und reckte ihre Arme dem Laubdach über den Lücken der Decke entgegen. »Gibt es euch, gerechte Götter, oder gibt es euch nicht? Helft, wenn es euch gibt…!«
    ***
    Zwei Matrosen lichteten den Anker, die Ruderblätter schlugen ins Wasser. Der Zweimaster glitt durch die Wogen der Hafenausfahrt entgegen. Die einzigen zahlenden Passagiere standen an der Bugreling: Rulfan und Cahai.
    »Was bedeuten diese Zeichen?« Über die Schulter deutete Rulfan auf die Schiffsglocke. Fremdartige Schriftzeichen in roter Farbe bedeckten sie.
    »Der Name des Schiffes«, sagte Cahai. »Es sind die gleichen Zeichen wie auf der Bordwand. Sie bedeuten ›Feuerbraut‹.«
    An der Schiffsglocke vorbei blickte Rulfan zum Ruderhaus. Dort standen Kapitän und Steuermann.
    Beide spähten zu ihren unverhofften Passagieren herüber. Der Kapitän hieß Sulbar, ein übergewichtiger, mondgesichtiger Mann mit gelbbrauner Haut und einem mürrischen Gesicht. Sein Schiff transportierte Waren aller Art zwischen den Inseln des südcinnesischen Meeres hin und her. An diesem Morgen ging es hinüber nach Sumra.
    Die Laderäume waren voller Stoffbahnen, Zinkbleche und Leder.
    Im Morgengrauen, nach ihrer überstürzten Flucht aus der Schenke, hatten sie das Schiff im Hafen entdeckt.
    Obwohl es nicht nach Australien fuhr, hatte Cahai sofort mit dem Kapitän verhandelt, als er herausfand, dass es noch am Vormittag auslaufen würde. In den Häfen von Sumra oder auf der malayaischen Halbinsel wäre es leichter, ein Schiff nach Ausala – Australien – zu finden, behauptete er. Seinen Wagen und eines seiner Tiere hatte Sulbar für die Überfahrt gefordert. Cahai hatte eingeschlagen, ohne mit der Wimper zu zucken.
    Chira richtete sich auf den Hinterläufen auf und stützte die Vorderläufe auf die Reling. Rulfan kraulte ihr Nackenfell. »Das Meer ist tückisch in dieser Weltgegend«, sagte er. Sie passierten die Hafeneinfahrt.
    Hinter ihnen befahl der Kapitän die Segel zu setzen.
    »Fast hätte es euch beide getötet, was?«
    Überrascht sah Rulfan den Kleineren an. »Woher weißt du das?« Bisher hatten die beiden Männer einander nicht einmal erzählt, wo sie herkamen. Nur dass sie nach Ausala wollten.
    »Ich weiß vieles.« Wieder dieses hintergründige Lächeln auf dem spitzen Gesicht Cahais. »Du warst verletzt, Rippenbrüche, Prellungen,

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