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181 - Der ewige Turm

181 - Der ewige Turm

Titel: 181 - Der ewige Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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zurückgelegt. Die Morgenbrise wehte von Westen, Victorius korrigierte das Ruder und ging auf Südwestkurs.
    »Guten Morgen, Titana!«, krähte er und tippte das flaum- und fellgefüllte Netz über dem Kartentisch an.
    »Gut geschlafen?« Lächelnd öffnete er das Gondelfenster nach Südosten. Der Glutball der aufgehenden Sonne löste sich gerade vom Horizont. Vor der roten Lichtwand zeichnete sich ein langes Gebilde ab, das irgendwo auf dem Zielkurs in den Himmel ragte.
    »Was haben wir denn da?« Victorius öffnete den Geräteschrank und holte sein Fernrohr heraus. Er zog es aus und richtete es auf den Sonnenaufgang. »Victorius will es selbst kaum glauben, aber ein Turm berührt dort hinten den Himmel. Er muss höher sein als alles, was wir an Türmen kennen, denn er ist noch fast zweihundert Kilometer entfernt, und trotzdem sieht Victorius ihn bereits…«
    ***
    Bratenduft erfüllte die Räume. Zwei gehäutete und ausgeweidete Wildhunde hingen am Spieß über der Glut. Der Rauch des Feuers zog durch eine große Lücke in der Fassade nach draußen. Die halbnackten Frauen an der Feuerstelle dösten vor sich hin. An den Tischen entlang der Wände und auf den Schwellen der offenen Türen würfelten Männer, plauderten, schliefen oder tranken einfach nur Tee. Manche lagen auch bäuchlings auf Decken und ließen sich von nur notdürftig bekleideten Frauen massieren.
    Der Kometenfürst Reezar, sein Bruder Karzyan und sein Sohn Belzary standen an der Holzbrüstung vor der Fassadenlücke. Über einen Dschungel aus Bäumen, Ruinen und Straßenschluchten hinweg blickten sie zum Skelett eines anderen Hochhauses. Der abziehende Rauch schien sie nicht zu stören.
    Hin und wieder drehte Reezar, ein kleiner fetter Mann in hautenger roter Lederkleidung, sich um und zischte den Frauen am Feuer einen Befehl zu. Die zuckten dann jedes Mal zusammen, wachten auf und fuhren fort, den Spieß mit den Wildhundbraten weiter zu drehen, bis sie aufs Neue einnickten.
    Alle drei Männer vor dem zerklüfteten Loch in der Wand trugen weite Mäntel aus schwarzer Wolle über ihrer Lederkleidung und hatten Fernrohre an die Augen gedrückt. Dunst hing über dem Wald, den Straßenschluchten entlang der Fassadenreste und über den wenigen Ruinen, die hoch genug waren, um den Wald zu überragen. Ein knappes Dutzend etwa waren es, die meisten nicht höher als fünfzig oder sechzig Meter.
    Nur drei brachten es noch auf über hundert Meter. Um diese Ruinen machten die Stämme Ka'Els einen großen Bogen, denn in ihnen hausten die Affen. In fast alle Ruinen Ka'Els hatten sich größere oder kleinere Affenhorden eingenistet. Nur in den beiden höchsten Ruinen hatten sich die Menschen durchsetzen können: im ewigen Turm – so nannten alle Stämme der Ruinenstadt den Gebäudekomplex, obwohl er eigentlich aus drei Turmruinen bestand – und dann noch in der Ruine des Bankerstammes.
    Die drei Männer vor der Balustrade beobachteten den Angriff auf dieses zweite von Menschen besetzte Gebilde. Die untere Hälfte des uralten Hochhauses war relativ gut erhalten – besser fast als der ewige Turm – und bot immerhin Lebensraum für über zweihundert Menschen. Sie standen keine vierhundert Meter Luftlinie entfernt vom ewigen Turm, und aus einer Höhe von etwa dreihundert Metern ließ sich der Angriff gut beobachten.
    Der Bankerstamm hatte in diesem Jahr aus irgendeinem Grund das Schutzpfand verweigert. Vermutlich hatten sie sich mit den Basaren und Universityngern verbündet.
    Möglicherweise waren ihnen auch nur die Mädchen ausgegangen; oder aber das Los hatte eine Frau getroffen, die einer der Männer aus der Häuptlingsclique schon als Neuzugang für seinen Harem vorgesehen hatte; oder sie hatten den Morgen nach der letzten Vollmondnacht schlicht verschlafen. Auch das war schon vorgekommen.
    Gleichgültig. Entweder griff Reezar mit harter Hand durch, oder kein Stamm in Ka'El würde die Turmherrenrotte noch ernst nehmen. Verweigerung des Schutzpfandes kam einer Kriegserklärung gleich. Also hatte er eine Kriegsrotte aus siebzig Türmern losgeschickt. Sie waren mit Spießen, Kurzschwertern, Kriegsbogen und Kampfhunden bewaffnet.
    »Es geht los«, sagte sein Bruder Karzyan. »Sie stürmen den Eingang.«
    »Na endlich.« Reezar setzte das Fernrohr ab, drehte sich um und zischte ein paar derbe Schimpfworte in Richtung Feuerstelle, wo die Frauen schon wieder eingenickt waren. Sie zuckten zusammen, machten erschrockene Gesichter und fuhren fort, den Bratenspieß zu

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