1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
Erleichterung trat diese Komplikation nicht ein, auch wenn die Wunde immer noch nässte und nicht verheilen wollte. So musste sich Jette mit dem letzten kostbaren Rest China-Weidenrinde, die der Arzt ihr mitgegeben hatte, kalten Umschlägen, ein paar Hausmitteln der Tante und dem begnügen, das die nur noch spärlich bevorrateten Apotheken der Stadt zu bieten hatten.
Wenn sie nicht gerade kalte Umschläge auflegte oder Étienne etwas zu trinken einflößte, saß sie auf einem Stuhl neben dem Krankenbett, meistens mit einem Buch in der Hand. Doch statt Schiller oder Lessing zu lesen, las sie in seinem abgezehrten Gesicht, auf dem die Bartstoppeln schon wieder dunkel nachwuchsen.
Sie wartete nicht nur auf ein Anzeichen dafür, dass er genas, dass er die Augen öffnete und sie erkannte. Beim Betrachten seines Gesichtes versuchte sie, die Antwort darauf zu finden, was junge Männer in den Krieg trieb, obwohl sie doch wussten, was ihnen widerfahren konnte.
Das hier könnte auch Maximilian sein, Felix oder Richard. Oder Eduard, der ihr gegenüber manchmal prahlte, dass er viel lieber zu den alliierten Streitkräften gehen und die Besatzer aus dem Land vertreiben würde, als im Buchdruckergewerbe zu arbeiten, wie es sein Vater von ihm erwartete. Sogar ihr Bruder Franz mit seinen zehn Jahren sprach begeistert von einem künftigen Leben beim Militär, obgleich er genug gesehen haben sollte, um den Krieg zu fürchten.
Nelli klopfte leise an die offen stehende Tür und trat auf Zehenspitzen ein. Sofort musste Jette an ihr Eingeständnis vor einigen Tagen denken und zwang sich, das jäh aufflackernde Bild aus ihrem Kopf zu vertreiben, wie der Major das Mädchen in sein Bett zog.
Nelli vergewisserte sich mit einem Blick, dass der Kranke immer noch schlief, dann erst holte sie einen Brief unter ihrer Schürze hervor.
»Der ist eben für Sie abgegeben worden«, sagte sie und knickste, bevor sie mit einem bedeutungsschweren Lächeln anfügte: »Ich soll ihn ausdrücklich nur Ihnen aushändigen.«
Erstaunt, beinahe erschrocken betrachtete Jette den Brief. Ob er von Maximilian kam? Sie hatte seit seinem ersten Gruß nichts mehr von ihm gehört. Aber diese Post wirkte nicht, als hätte sie eine lange, weite Reise hinter sich.
Mit einem Nicken als Dank nahm sie den Brief entgegen und betrachtete ihn von vorn und hinten. Ohne Absender. Wie der erste. Aber auch ohne einen Knick oder die geringste Spur von Schmutz.
Sie wusste, dass das Dienstmädchen vor Neugier platzte. Und Nelli wusste, dass das junge Fräulein dieses Geheimnis leider nicht mit ihr teilen würde. Also knickste sie erneut und ging. Sie würde es schon herausfinden. In so einem Haus blieb nichts verborgen.
Jette warf einen prüfenden Blick auf den Kranken und in Richtung Flur. Als sie Gewissheit hatte, dass niemand sie beobachtete, erbrach sie das Siegel und entfaltete den Brief mit fliegenden Fingern. Ein zweites Blatt, vierfach zusammengefaltet, fiel heraus. Sie hob es auf, legte es sich in den Schoß und überflog den Brief. Entgegen ihren Hoffnungen war er nicht von Maximilian.
»Liebstes Fräulein Henriette,
wenn ich Sie so nennen darf, was Sie mir freundlichst erlauben mögen. Ich vermisse Sie in unseren Tanzstunden! Mit den anderen Mädchen zu tanzen macht nicht halb so viel Freude, und mit ihnen reden zu wollen ist die Mühe nicht wert. Durch Ihren Cousin Eduard, der mich für meine Nachfrage mit so viel Grimm ansah, dass ich diesen Brief lieber selbst in Ihrem Haus abgab, weiß ich, welche Pflichten Sie jetzt binden. Doch ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass Sie sich unserer Runde bald wieder anschließen dürfen. Sogar der strenge Maître scheint Sie zu vermissen. Gestern rügte er die anwesenden jungen Damen, dass nicht eine von ihnen solche Anmut in den Bewegungen zeige wie Sie.
Ich werde mit so viel Geduld auf Sie warten, wie ich aufbringen kann angesichts der Leere, die ich ohne Ihre Gegenwart im Tanzsaal empfinde. Sie können mir die Wartezeit erträglicher machen, indem Sie einen Blick aus dem Fenster auf den Marktplatz werfen. Dort warte ich auf ein Lächeln von Ihnen. Natürlich in gebührendem Abstand, um keinen Anlass zu Gerede zu geben. Bitte schauen Sie hinaus, das würde mich sehr glücklich machen!
In der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen, selbst unter den strengen Blicken des Maître,
ganz der Ihre
Sebastian von Trebra.«
Was für eine Überraschung! Jette musste sich eingestehen, dass sie sich über diese Zeilen freute. Doch
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