1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
bekommst. Dafür hab ich meine Eltern belogen, die glauben, ich würde für ihr letztes Geld immer noch studieren, habe Kopf und Kragen riskiert
und
meine berufliche Laufbahn … Denkst du nicht, als dein Freund hätte ich die Wahrheit verdient, wenn ich mich auf so etwas einlasse? Kannst du dir eigentlich noch vor dem Spiegel in die Augen sehen?«
Erneut herrschte beklemmendes Schweigen zwischen ihnen.
Als die Pferde ungefähr hundert Schritt zurückgelegt hatten, platzte Richard heraus: »Komm mit oder lass es sein! Aber ich frage bei der nächsten Rast, ob ich zu den Lützowern wechseln darf. Meine ganze Zukunft hängt davon ab. Und die meiner Familie.«
Du hast gar keine Zukunft, wenn Lützow seine Männer den Franzosen ins Messer laufen lässt und die dich aus dem Sattel hauen, dachte Felix ungewohnt zynisch. Doch er sprach es nicht aus. Plötzlich hatte er das unbestimmte Gefühl, den Freund nicht allein lassen zu dürfen, wenn der überleben sollte.
Nicht zornig oder enttäuscht sah der Rittmeister von Colomb auf die beiden, die bei der nächsten Rast für die Pferde um Erlaubnis baten, sich den Lützowern anschließen zu dürfen. Sondern eher besorgt.
Über seinen preußischen Volontärjäger Karlmann wunderte er sich nicht allzu sehr. Er wusste von dem Erlass über die Zukunftsaussichten preußischer Studenten und ahnte den Zusammenhang.
Doch von dem klugen kleinen Zeidler hätte er mehr Voraussicht erwartet. Er erforschte das Gesicht des Jungen, und in den Augen hinter den runden Gläsern erkannte er dessen Motiv. Felix Zeidler fürchtete, sein Kamerad würde sterben, wenn er ihn allein ziehen ließ. Er hatte schon viele solcher Blicke gesehen, und er hatte schon viele junge Männer sterben sehen.
»Wollen Sie Ihre Entscheidung nicht noch einmal eine Nacht lang überdenken?«, fragte er ernst.
Als beide ablehnten, sagte er nur: »Dann schütze Sie Gott!«
Schießbefehl
Leipzig, 9 . Juni 1813
A m gleichen Tag, zur gleichen Stunde, als Lützow und Colomb getrennte Wege gingen und sich die beiden Freiberger Bergstudenten dem Freikorps des Majors anschlossen, schickte der neue Militärkommandeur von Leipzig vier Marschkolonnen Infanterie und Kavallerie aus, eine in jeder Himmelsrichtung, jede mehrere hundert Mann stark und sogar mit Kanonen ausgerüstet. Ihr Auftrag: die letzten preußischen Streifscharen aufzuspüren und niederzusäbeln oder gefangen zu nehmen. Wer floh, den sollten sie ohne Rücksicht niederschießen.
General Arrighi, Herzog von Padua, hatte für sein neues Kommando in Leipzig klare Order seines Kaisers: Sachsen von den schwarzen Briganten zu säubern – ohne Gnade für das Räuberpack. Dazu waren am Vormittag als Verstärkung noch zwei württembergische Brigaden in Leipzig eingetroffen, eine Brigade Kavallerie und eine Brigade Infanterie, insgesamt fast viereinhalbtausend Mann und mehr als eintausenddreihundert Pferde. Auch sie wurden sofort wieder ausgeschickt.
Arrighi beabsichtigte nicht, die geringste Gnade walten zu lassen. Er war ein ehrgeiziger Mann, erst fünfunddreißig Jahre alt, Korse wie Napoleon und verwandt mit ihm. Außerdem hatte ihn der dreiste Angriff auf
sein
Leipzig vor zwei Tagen bis aufs Blut gereizt. Was für eine unverschämte Provokation! Das war nicht nur ein Geplänkel gewesen, sondern ein richtiges Gefecht, bei dem seine Truppen an den Rand einer Niederlage geraten waren.
Die hatten auch beschämend wenig Kampfgeist gezeigt und mussten geradezu vorwärtsgetrieben werden, während Woronzows exzellente Kavallerie vor Angriffslust glänzte.
Etliche Tote und Verwundete, darunter achtzehn Offiziere, und fünfhundertfünfzig Gefangene – bis endlich seine Parlamentäre die Gegner vom Waffenstillstand überzeugen konnten. Das schrie nach Rache!
Doch Jean-Toussaint Arrighi de Casanova war umsichtig genug, eine weitere Anweisung seines Kaisers zu befolgen: die Entwaffnung der Feinde nicht in Leipzig vorzunehmen, sondern ein Stück von der Stadt entfernt.
Er wusste, dass viele Leipziger mit den Freikorps sympathisierten, insbesondere mit der Bande von diesem Lützow, und er wollte keinen Aufstand in der Stadt blutig niederschlagen müssen. Natürlich würde er es ohne Erbarmen tun, sollte es nötig sein. Aber das musste er ja nicht provozieren.
Deshalb die Kolonnen. Sie würden das Land durchkämmen, bis auch der Letzte von dem Gesindel tot oder gefangen war. Das konnte nur eine Frage von Tagen sein.
Hoffnung und Schrecken
Freiberg, 9 . Juni 1813
D
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