1817 - Der Nachtmahr
nichts. Wir konnten von einem spannungsvollen Warten sprechen, und auch die Hexe gab keinen Kommentar mehr ab. Sie hockte im Dunkeln neben mir und ich hörte sie heftig atmen.
»Warum steht ihr auf der Liste?«, fragte ich.
»Was meinst du damit?«
»Ganz einfach. Dass diese Nachtmahre euch jagen.«
»Keine Ahnung. Wer weiß, welche Mächte sich da etwas ausgedacht haben.«
»Kann man auch sagen.«
»Ist das nicht bei dir ebenfalls so? Du wirst auch angegriffen, ohne dass es dafür einen besonderen Grund gibt. Du bist eben das Ziel. Und das für immer.«
»Ja, und das hat auch seine Gründe.«
Wir warteten ab. Dass sich Uma Stern geirrt hatte, daran glaubte ich nicht. Sie hatte ein besseres Gespür für gewisse Vorfälle, das gab ich zu.
»Jetzt passiert es«, sagte die Hexe leise.
Ich wusste sofort, was sie meinte, denn um uns herum veränderte sich etwas. Die tiefe Finsternis verschwand, es wurde allmählich heller und diese Helligkeit schlich sich wie ein Dieb heran. Alles lief sehr langsam ab, und es dauerte seine Zeit, bis wir etwas zu sehen bekamen. Die Dunkelheit wurde weggezogen wie ein Vorhang. Nur nicht sehr schnell, es lief alles langsam über die Bühne, sodass wir uns an die neue Umgebung gewöhnen konnten.
Als es noch dunkel gewesen war, hatten wir daran gedacht, in einer Leere zu sitzen. Das erwies sich jetzt als Irrtum. Es war keine richtige Leere, die uns umgab. Zwar wurden wir nicht von irgendwelchen Gestalten bedroht, aber es gab doch Dinge, an die wir nicht gedacht hatten und die neu für uns waren.
Und wir stellten fest, dass wir uns auf einem Friedhof befanden. Jedenfalls hatten wir wieder festen Boden unter unseren Füßen. Und doch konnten wir nicht davon ausgehen, dass wir uns in einer realen Welt befanden. Dieses hier war eine Traumwelt. Irgendjemand träumte sich diese herbei. Vielleicht gab es hier die Nachtmahre, die Albs, die erschienen, um die Menschen zu bedrängen und ihnen die große Angst einjagten.
So war es ja.
Die Albs hockten auf den Körpern der Schlafenden und brachten sie durch ihr Gewicht in Bedrängnis. Und das schuf dann die schlimmen Bilder, die sich zu Albträumen verdichteten.
»John, wir sind in einem Traum.«
»Ich weiß.«
»Und wie fühlst du dich?«
»Nicht anders als sonst. Bisher sehe ich ihn als einen Traum an und nicht als einen Albtraum.«
»Keine Sorge, das wird noch kommen. Ich denke, dass der Träumer erst am Anfang steht.«
»Das kann sein.«
Wir mussten abwarten, und wir erlebten, dass sich der Friedhof um uns herum immer weiter aufbaute. Bisher waren noch nicht alle Gräber vorhanden gewesen, das änderte sich, denn es tauchten immer weitere auf. Ob kleinere oder größere, manchmal mit Grabsteinen, andere ohne, und alles war von einer gewissen Düsternis begleitet, die sich wie ein Tuch über die Gegend gelegt hatte.
Neben mir bewegte Uma Stern unruhig den Kopf. »Das – das kann nicht gut gehen.«
»Warum nicht?«
»Nicht bei einem Friedhof. Im Moment tut sich da noch nichts, aber das wird nicht so bleiben.«
»Und dann?«
»Werden wir uns verteidigen müssen. Mal im Ernst, John. Wenn du von einem Friedhof träumst, bleibt es dann bei dem friedlichen Gelände?«
»Was meinst du?«
»Ganz einfach. Ob es dabei bleibt. Oder sich da etwas tut. Das passiert bei Albträumen doch immer. Es gerät ins Leben hinein, verstehst du? Einfach nur ein Bild als Erinnerung aus dem Traum mitnehmen, das reicht nicht. Der Traum muss sich mit Leben füllen, und wenn es ein verfluchtes Leben ist.«
»Ich weiß.«
»Und das wird hier auch so geschehen«, sagte Uma Stern. »Davon bin ich überzeugt.«
Sie erntete keinen Widerspruch. Mit einem leeren Friedhof konnte ich auch nichts anfangen. Auch im Traum ging es um Veränderungen, ging es um Action.
Ich wartete darauf, dass sich in unserer Umgebung etwas tat. Dabei rechnete ich mit den Klassikern des Traums, wenn dabei ein Friedhof die Hauptrolle spielte. Ein Friedhof und Gräber, die dann nicht geschlossen blieben.
Darauf stellte ich mich ein, aber zunächst passierte nichts. Der alte Friedhof blieb so, wie er war, und auch Uma Stern wunderte sich darüber. Sie blieb nicht mehr länger sitzen, gab sich selbst genügend Schwung und stand auf.
»Es klappt«, meldete sie.
»Und jetzt?«
»Werde ich mich umschauen.«
»Tu das.«
Sie ging, und auch ich blieb nicht länger sitzen und schraubte mich hoch. Uma schaute sich nicht um. Sie ging einfach weiter und verschwand zwischen den höheren
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