1822 - Ich jagte die böse Äbtissin
beschäftigten sie auch jetzt, und so war es ihr nicht möglich, einzuschlafen. Das war für sie auch nicht schlimm. Wichtig war, dass sie bis zum Morgen durchhielt, um dann mit diesem Polizisten John Sinclair sprechen zu können.
Sie sah sich selbst nicht als Verräterin an. Zuvor hatte sie mit der Äbtissin gesprochen und sie indirekt sogar gewarnt. Aber Clarissa hatte nicht auf sie gehört. Sie hatte sogar recht spöttisch reagiert und sie ausgelacht.
Das Verlassen des Klosters war wie eine Flucht gewesen. Daran hatten sie auch die Verätzungen nicht hindern können, denn Clarissa hatte sich sehr wütend gezeigt. An die Folter wollte Maria nicht denken. Es war eine schlimme Tortur gewesen, und trotzdem hatte sich die Nonne nicht von ihrem Plan abbringen lassen.
Bis nach London hatte sie sich durchgeschlagen, denn hier lebte John Sinclair. Aber sie hatte sich zuerst in ärztliche Behandlung begeben müssen, denn ihre Verbrennungen mussten untersucht werden.
Hier in der Klinik waren die Wunden recht schnell verheilt. Sie fühlte sich wieder fast fit, und jetzt musste sie nur mehr die wenigen Stunden überstehen, dann lief alles anders.
Es war ruhig in ihrem Zimmer. Sie empfand die Stille schon als leicht belastend, konnte es aber nicht ändern.
Völlig finster war es nicht. Schwaches Restlicht breitete sich aus und erreichte auch die Tür.
Genau von dort hörte Maria ein Geräusch. Zuerst achtete sie nicht besonders darauf, doch als es sich wiederholte, da horchte sie auf und stand augenblicklich unter Spannung.
An das Geräusch wollte sie nicht mehr denken, denn jetzt sah sie, dass sich die Tür öffnete. Auch das war nichts Besonderes, aber wie das passierte, das hinterließ bei ihr schon einen Druck im Magen.
Sie schaute hin. Maria wusste, dass es keine Krankenschwester war, die sie besuchen wollte. Die betraten die Zimmer auf eine andere Art und Weise. Hier kam eine andere Person, die die Tür mit einer heftigen Bewegung weiter aufstieß.
Jetzt stand sie im Rahmen.
Jetzt war sie zu erkennen.
Es war Marias Albtraum, denn auf der Schwelle stand Clarissa, die böse Äbtissin …
***
Maria Toledo reagierte nicht. Sie lag starr in ihrem Bett, aber in ihrem Kopf jagten sich die Gedanken.
Jetzt ist es so weit! Jetzt werde ich geholt! Jetzt gibt es kein Entrinnen mehr! Das waren ihre Gedanken, und sie fing an zu zittern und zu frieren. Sie wusste nicht, was man von ihr wollte, und hoffte, dass sie aus dieser Lage noch mal freikam.
Sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Äbtissin gekommen war, um sie zu töten. Auf der anderen Seite war sie durch die Hände dieser Frau schon gefoltert worden, und jetzt war sie da. Sie hatte keine Ruhe gegeben. Sie hatte Maria verfolgt und sie jetzt gestellt.
Marias Gedanke galt der Krankenschwester mit dem netten Namen Leni. Sie hoffte nur, dass ihr nichts passiert war, denn das hatte sie wirklich nicht verdient.
Die Äbtissin ging einen Schritt weiter und blieb dann stehen. So konnte sie die Tür schließen. Und je länger sie vor der Tür stand, umso besser war sie zu sehen.
Sie trug noch ihr schwarzes Habit. Aber im krassen Gegensatz dazu auch die weiße Haube, die aus zwei Teilen bestand. Zu einem aus einem eng gebundenen Kopftuch und zum anderen aus einer schleierartigen Bedeckung, deren Stoff sich auch auf den Schultern ausbreitete.
Und dann gab es noch das Gesicht, das zwar ein menschliches Aussehen hatte, aber durch etwas anderes gezeichnet war. Die Haut war geschwärzt. Von der Stirn bis hin zum Kinn reichte ein senkrechter weißer Balken. Ein Querbalken gehörte auch dazu. Er reichte über den Mund hinweg und holte die vollen Lippen der Frau überdeutlich hervor. Wer genau hinschaute, der musste auf den Gedanken kommen, dass es sich bei diesem weißen Zeichen um ein Kreuz handelte. Und zwar um ein auf dem Kopf stehendes.
Das dunkle normale Outfit hatte auch einen tiefen Ausschnitt, sodass die Ansätze der beiden Brüste gut zu sehen waren.
So wie sie lief keine Nonne herum. Erst recht keine Äbtissin. Das war bereits die reine Provokation. Aber so war sie eben. Durchtrieben, immer an sich denkend und auch gierig. Und zwar gierig auf das Leben und auf die Sünden des Lebens, was sie nicht so sah, denn was für andere Menschen Sünden waren, das waren für sie die reinen Freuden, und die genoss sie mit allen Sinnen.
»Da bist du ja«, flüsterte sie.
Maria Toledo schwieg. Sie konnte nicht mehr reden. Irgendwie saß ihre Kehle zu. Es war wie ein
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