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Geheime Depeschen

Geheime Depeschen

Titel: Geheime Depeschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Sturm
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Der Abend zuvor
    William hatte sich im Best Western Hotel in der Penywern Road in Süd Kensington einquartiert. Die letzten Tage und Wochen hatte er wie Richard Kimble verbracht - auf der Flucht. Er fühlte sich nirgends sicher und wusste nicht mehr, wem er noch trauen konnte, selbst in den eigenen Reihen konnten Verräter lauern. Sogar sein engster Vertrauter Thomas Müller, ein Deutscher, wurde ihm suspekt. Erst recht, seitdem er sich vor drei Monaten von ihrem gemeinsamen Projekt verabschiedet hatte. War Müller der Maulwurf, den die USA bereits vor Jahren angekündigt hatten? Oder einfach nur ein Angsthase.
    An William nagten Zweifel. In den vergangenen zweieinhalb Jahren gingen ihre Meinungen über die zukünftige Entwicklung der Plattform stark auseinander. Müller entwickelte sich immer mehr zu einem Konkurrenten, der es verstand, andere Mitarbeiter für seine Vorstellungen zu begeistern. Er trennte somit das Projekt in zwei Lager, machte es schwach. Zuletzt stellte er sogar öffentlich William selbst in Frage. Dieser so harmlos wirkende Mann verbarg hinter Bart und Brille die hässliche Fratze eines Verräters.
    Ein paar Kollegen, denen er blind vertrauen konnte, gab es noch. Doch nach allen Erfahrungen konnte er sich auch hier nicht mehr sicher sein. Ein schlechtes Gefühl. William hatte ihnen Anweisungen gegeben, was zu tun wäre, wenn man ihn ins Gefängnis stecken sollte.
    Er saß allein seinem Zimmer und wartete auf das Unvermeidliche. Wegen der „Red Notice“ gab es ein ganzes Team an Polizisten, von Scotland Yard oder sogar vom Secret Service, die das Hotel überwachten.
    William sah aus dem Fenster. Er war nervös. Unten auf der Straße versuchte er seine Beobachter ausfindig zu machen. Rechter Hand vor einem Gebäude parkte ein schwarzer Lexus, in dem zwei Männer saßen. Der stand dort schon seit drei Stunden. Der Penner auf der anderen Straßenseite, der um Almosen bettelte, machte dies auch schon den ganzen Tag. Nachts schlief er in dem gleichen Hauseingang auf einer Pappe. Ein Zufall? William machte sich Notizen und gliederte die Personen vor dem Hotel in drei Kategorien: sicher, vielleicht, auf keinen Fall. Was machte er sich überhaupt solche Gedanken? Es konnte ihm doch eigentlich egal sein, wie viele Leute ihn beobachteten. War es ihm offenbar nicht.
    Das Telefon klingelte.
    „William, ich bin‘s! Deine Mutter!“ Christines Stimme zitterte.
    „Ja, Mum! Was willst du?“ William war genervt. Er hatte gerade tausend andere Gedanken im Kopf und Anrufe seiner Mutter waren das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte. Trotzdem tat es ihm gut, eine vertraute Stimme zu hören, auch wenn er sich das nicht eingestehen wollte.
    „Ich wollte doch nur wissen, wie es dir geht?“, entgegnete Christine leicht genervt, obwohl sie ihrem Sohn anmerkte, dass er unter Druck stand.
    „Wie soll es mir gehen, wenn die ganze Welt hinter mir her ist? Mir geht es gut!“ Auch wenn man es fast kaum glauben konnte, er meinte es auch so. War es doch genau das, was er immer gewollt hatte – er fühlte sich als ein moderner Robin Hood, der für die Wahrheit und Gerechtigkeit kämpfte.
    Er würgte seine Mutter ab. „Können wir morgen telefonieren? Ich bin müde“, gab er vor. „Und außerdem ist das Telefon sicher verwanzt.“
    Er legte auf und zog das Telefonkabel aus der Dose. Er wollte einfach nur seine Ruhe und Zeit zum Nachdenken haben.
     
    Das Gespräch mit seiner Mutter erinnerte William an seine Kindheit. Sie hatte ihn zu dem gemacht, was er heute war. Seine Eltern besaßen einen Wanderzirkus und waren typische Hippies der Spät-Sechziger bzw. Früh-Siebziger, Künstler, die es immer wieder nach Byron Bay zog, das von Aussteigern, Backpackern, Kiffern und allem möglichen Chaoten besiedelt war; sie alle hatten eins gemeinsam: sie wollten alternativ und frei zu leben. Praktisch lebte William schon damals aus dem Koffer und wurde geprägt von Anti-Einstellungen. Letztlich ging es immer um Kämpfe – gegen Verschwörungen der Supermächte, gegen den Vietnam-Krieg, auch wenn dieser schon ein paar Jahre vorbei war; und natürlich um die Freiheit.

Byron Bay, 1980
    Während er früh morgens den Sonnenaufgang am Meer genoss, war seine Mutter bereits bei ihren Yoga-Übungen am Tallow Beach. Nirgends gab es so viele Yoga-Lehrer wie hier, und überall lauerten Handleserinnen den Rucksacktouristen auf, um ihnen gegen Bares irgendeinen Stuss zu erzählen. Hier, am östlichsten Punkt Australiens, strandeten die

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