1825 - Schreie aus dem Fegefeuer
Sie denn den Polizisten das Gleiche erzählt wie uns?«
»So ungefähr.«
»Und weiter?«
»Man hat mich nicht erst genommen, verstehen Sie? Man hat mich für einen Feigling, einen Fantasten oder was auch immer gehalten. Aber man konnte mir keine bösen Absichten nachweisen. Da hat man mich dann wieder laufen lassen müssen.« Er nickte Edith Truger zu. »In diesem Fall konnte man nichts machen. Man hielt mich für einen Spinner, stufte mich dann allerdings als harmlos ein.«
Ich wedelte mit der Hand. »So harmlos scheint mir der Fall nicht zu sein.«
»Glauben Sie mir denn?«
»Ja, ich denke nicht, dass Sie sich alles haben einfallen lassen. Daran kann ich nicht glauben.«
»Danke.«
Ich winkte ab. »Sie brauchen sich nicht bei mir zu bedanken. Harry Stahl und ich denken nur eben anders.«
»In meinem Fall wohl richtig.«
»Ja.«
Er fixierte mich jetzt besonders intensiv. Dabei bekam er sichtbar eine Gänsehaut.
»Ist was?«, fragte ich.
»Ja, bei Ihnen.«
»Und was?«
»Ich weiß es nicht. Sie sind ein besonderer Mensch. Das Gefühl habe ich zumindest.«
»Können Sie das genauer beschreiben?«
»Nein, eigentlich nicht. Ich denke, dass Sie etwas umgibt. Eine Aura oder so …«
»Ja, das kann schon sein.«
»Echt?«
Ich nickte. Dann sagte ich: »Wir können ja einen Versuch starten, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Wie sieht der denn aus?«
»Es wäre nur ein Test.«
»Und was wäre mit mir?«
»Bitte, stimmen Sie zu.«
Er kämpfte noch mit sich und suchte mit Blicken bei Edith Truger Rat.
Den gab sie ihm auch. »Machen Sie es, Urs. Sie können Mister Sinclair vertrauen.«
»Ja, ähm – dann …« Er hatte sich entschlossen, und von jetzt kam es auf mich an.
Was sollte ich tun? Es war ganz einfach, die Wahrheit herauszufinden. Ich musste ihn testen, und das konnte ich nur durch mein Kreuz, das vor meiner Brust baumelte.
Ich holte es hervor, aber so, dass Urs Meyer noch nichts davon sah. Ich bekam die Kette am Hals zu fassen, verfolgte den Weg meines Talismans, und so dauerte es nicht lange, bis ich ihn in meiner Hand hielt, die ich allerdings geschlossen hatte.
Urs Meyer hatte einen skeptischen Blick aufgesetzt, als er sich auf meine Faust konzentrierte. Ihren Inhalt sah er nicht, und ich wartete noch ein paar Sekunden, denn jetzt konzentrierten sich auch Edith Truger und Urs Meyer auf mich.
Ich wollte sie nicht länger im Unklaren lassen, und so öffnete ich meine Faust.
Jetzt lag das Kreuz vor ihnen, das einen matten Glanz abgab und von Urs Meyer mit einem Schrei begrüßt wurde …
***
Ich hatte nicht gewusst, dass dies passieren würde, war aber auch nicht besonders überrascht. Etwas war mit Urs Meyer los, das hatte ich schon bemerkt.
Bisher hatte er locker in seinem Sessel gesessen. Das war jetzt vorbei. Plötzlich saß er steif wie eine Eispuppe. Seine Hände hatte er um die beiden Lehnen gekrallt. Es sah aus, als wollte er fliehen, aber da hätte er den Sessel verlassen müssen, und das wiederum konnte er nicht. Dazu war er nicht in der Lage.
Er hatte nur Augen für das Kreuz. Er atmete dabei heftig. Die Gänsehaut blieb, womöglich verstärkte sie sich auch noch, und tief aus seiner Kehle drang ein Stöhnen.
»Urs?«
Ich hatte ihn angesprochen, und als Reaktion drehte er den Kopf zur Seite.
Trotzdem gab ich nicht auf. »Was haben Sie, Urs?«
»Bitte …«
Danach kam nichts mehr. »Und weiter?«
»Bitte, nehmen Sie es weg! Ich kann es nicht mehr sehen, es gehört nicht mehr zu mir.«
»Wie meinen Sie das?«
»Nehmen Sie es weg!«
»Haben Sie Angst davor?«
»Nein, aber ich möchte es nicht sehen. Ich fühle mich dann sehr, sehr schlecht.«
Das war ein Hinweis, und so machte ich trotzdem weiter. »Kann es sein, dass Sie das Kreuz nicht mögen, weil Sie mal im Fegefeuer gewesen sind? Oder in einer ähnlichen Lage?«
»Da will man es auch nicht.«
»Aha. Und der große Vogel, der Sie geholt hat? Was ist denn mit ihm passiert?«
»Ich weiß es nicht. Er ist wieder weg.«
»Und weiter?«
»Ich will das Kreuz nicht sehen. Es macht mir kein gutes Gefühl. Alle wollen es nicht sehen, verstehen Sie?«
»Ja, kann sein. Aber das ist mir nicht konkret genug. Was hat Ihnen das Kreuz getan?«
»Ich weiß es nicht, verdammt. Es passt nicht in meine Welt. In die Welt der Büßer.«
»Also zu den Menschen, die Sie erlebt haben.«
»Menschen?«
»Was sonst?«
»Skelette. Ich habe auf die blanken Schädel geschaut, und von ihnen habe ich die Botschaft erhalten,
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