1825 - Schreie aus dem Fegefeuer
glaube ich zumindest. Sie sind da und tun nichts. Sie müssen sich quälen, aber ihre Seelen leben noch. Sie müssen gereinigt werden, aber sie stehen erst am Anfang und sind noch längst nicht so weit.«
»Nimm es lieber weg«, sagte mein Freund Harry.
»Ist schon okay.«
Ich ließ das Kreuz verschwinden. Es hatte sich nicht erwärmt, ein Beweis, dass es den Mann nicht als einen Feind einschätzte. Jedoch war er unterwandert worden.
Ich beobachtete Urs Meyer und sah, dass er aufatmete. Das Kreuz war verschwunden, und es ging ihm wieder besser.
Edith Truger fand ihre Sprache als Erste zurück. »Was ist das denn gewesen?«
»Es ist vorbei«, erklärte Harry.
»Aber was war mit Urs?«
»Er war etwas durcheinander.«
»Warum denn? Weil er dieses Kreuz gesehen hat, das doch so wunderbar ist?«
»Ja, deshalb.«
»Das will ich nicht glauben. Nein, das kann nicht wahr sein. Es muss etwas anderes geben …«
»Bitte, Frau Truger.« Harry hatte jetzt scharf gesprochen. »Sie müssen sich auch an die Regeln halten.«
»Schon gut.«
Beide sprachen nicht mehr miteinander. Man schwieg sich an. Ich war aus meinem Sessel aufgestanden und an das Fenster getreten. Der Himmel hatte sich bezogen. Dunst hatte sich ausgebreitet. Obwohl das Haus hier höher stand, war von den Bergen mit ihrer Schneelast auf den Gipfeln nichts zu sehen. Die Welt dunkelte ein, aber ich wollte es nicht als schlechtes Omen bewerten.
Harry drehte sich zu mir um. Als er die Frage stellte, sprach er mit leiser Stimme.
»Ich denke, dass wir nichts erreicht haben. Die Frau war nicht unbedingt ein Hoffnungsschimmer.«
»Ja, du sagst es.«
»Aber wie kommen wir weiter?«
»Es gibt eine Möglichkeit.«
»Und welche?«
»Das ist der Tunnel.«
Harry hatte bisher vor sich hingeschaut. Jetzt hob er den Kopf an, und ich sah, dass es um seine Augen herum zuckte. Er suchte nach einer Frage, die er dann gefunden hatte und sofort damit rausrückte.
»Du willst in den Tunnel?«
»Ja, und zwar in den Gotthard.«
»Und dann?«
»Werden wir weitersehen.«
Harry Stahl sagte nichts, er dachte nach und verzog dabei das Gesicht. Sehr fröhlich sah er nicht aus, und er schüttelte den Kopf. Aber er hatte sich eine Frage zurechtgelegt.
»Willst du so in den Tunnel oder mit einem Zug in ihn hineinfahren?«
»Nein, nein, ich will schon mit dem Zug fahren, denn ich möchte sehen, ob ich das Gleiche erlebe wie Urs Meyer. Das ist ein Test.«
Harry nickte. »Ja, das denke ich auch, John, dass es ein Test ist. Willst du denn einen Weg ins Fegefeuer finden?«
»Würde ich gern. Vorausgesetzt, es stimmt alles.«
»Nun ja, wenn du meinst, dass wir den Fall so aufklären können, bin ich dabei.«
»Gut, Harry.«
»Und wann geht es los?«
»Ich denke, dass auch am Abend Züge fahren. Da werden wir uns einen aussuchen.«
Harry nickte.
Wir hatten nicht unbedingt leise gesprochen, und so waren wir auch gehört worden.
»Sie wollen sich wirklich in die Höhle des Löwen begeben?«, fragte Edith Truger. »Und nehmen Sie Urs Meyer dann mit?«
»Ich kann ihn nicht zwingen. Wenn er will, kann er dabei sein. Ansonsten muss er warten.«
»Gut, das ist eine Lösung.«
Ob sie das wirklich war, musste sich noch herausstellen. Und Urs Meyer war auch nicht begeistert. Er sprach davon, dass er es sich noch überlegen musste.
»Gut, tun Sie das«, sagte ich. »Aber wir werden einen Zug nehmen, der durch den Tunnel fährt.«
»Um welche Uhrzeit?«, fragte Urs Meyer.
»Das muss sich noch herausstellen. Wir müssen uns einen aussuchen.«
»Kein Problem«, sagte Urs Meyer und holte sein I-Phone hervor. Dort gab es eine App, die ihn zum Fahrplan der schweizerischen Eisenbahn führte.
Es gab da einen Zug, der ihm sofort auffiel. Es war einer, der hier in Zürich startete und bis Bellinzona fuhr. Er musste durch den Gotthard-Tunnel.
Den wollten wir nehmen.
Zudem hatten wir noch Zeit, bis er abfuhr. Erst in einer Stunde. Da war es noch hell, aber wir würden dann in die Dunkelheit hineinfahren.
Urs Meyer hatte sich noch immer nicht entschieden, wie er sich verhalten sollte.
Ich aber würde diesen Plan nicht mehr verwerfen, das sagte ich auch den beiden, bei denen wir uns verabschiedeten.
Man wünschte uns alles Gute und würde uns auch die Daumen drücken. Das konnten sie auch, doch meine Gedanken drehten sich um ganz andere Dinge.
Hoffentlich war das Fegefeuer offen, damit wir dort eindringen konnten …
***
Am Züricher Bahnhof fanden wir in einem Parkhaus noch
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