1826 - Das Nebelheer
war, wenn sie nur an die zahlreichen Waldfriedhöfe dachte, die in der letzten Zeit entstanden waren.
Jane glaubte nicht, dass es sich um einen einsamen Friedhof handelte, in dessen Erde die Asche der Toten versenkt wurde. Hier ging es bestimmt um etwas anderes.
»Haben Sie gehört?«
»Ja, ein Friedhof«
Drake lachte. Dann fragte er: »Und was halten Sie davon?«
»Nun ja, ein recht ungewöhnlicher Ort für einen Friedhof. Aber in der neuen Zeit gibt es immer mehr dieser Waldfriedhöfe.«
»Vergessen Sie sie.«
»Warum?«
Marian Drake zerrte seinen Mund in die Breite und umleckte dann seine Lippen. »Es ist ein ganz anderer Friedhof.«
»Wieso?«
»Da liegen alte Leichen.«
Jane hatte es gehört und schluckte. Mit einer solchen Antwort hatte sie nicht gerechnet. Es gab also diesen Waldfriedhof. Eine Begräbnisstätte versteckt zwischen den Bäumen.
Jane schluckte ihren Speichel. »Alte Leichen, haben Sie gesagt?«
»Ja, das ist so.«
»Wie alt?«
»Ich weiß es nicht.«
Das glaubte Jane ihm nicht. »Können Sie nicht ungefähr einen Zeitraum nennen?«
Er zuckte mit den Schultern.
Jane fragte weiter: »Wer liegt denn dort begraben? Können Sie darüber mehr sagen?«
»Ein wenig schon. Ich weiß allerdings nicht, ob es stimmt. Das müssen Sie mir nachsehen.«
»Mach ich.«
»Es sind normale Menschen, die dort liegen. Aber auch besondere.«
»Inwiefern?«
»Es sind nur Männer.«
»Aha.«
Marian Drake sprach weiter. »Sie haben sich hier getroffen, und sie sind hier auch gemeinsam in den Tod gegangen.«
»Meinen Sie das Haus?«
»Ja.«
Jane kam mit einem Einwand. »Aber der alte Friedhof liegt im Wald. Da gibt es wohl keinen Zusammenhang – oder?«
Drake stöhnte leise. »Doch, den gibt es. Man konnte die Toten doch nicht hier liegen lassen. Man hat sie in den Wald geschafft und dort begraben. Das wollten sie auch.«
Jane überlegte. »Kann es sein, dass sie hier Selbstmord begangen haben?«
»Ja, das haben sie.«
»Und dann?«
»Sie wollten im Wald begraben werden. Das ist dann auch geschehen.«
»Darf ich fragen, ob es sieben Männer gewesen sind?«
Marian Drake senkte den Blick und nickte.
Verdammt, das habe ich mir gedacht, dachte Jane Collins. Es waren vielleicht Männer, die den großen Kick gesucht haben. Das war im neunzehnten Jahrhundert die große Mode. Den Kick gesucht, ihn gefunden und dann die Konsequenzen daraus gezogen. Zusammen in den Tod gehen, einen kollektiven Selbstmord hinter sich bringen. Eingehen ins Nichts.
Bei dem Gedanken hakten Janes Gedanken. Das konnte sie nicht glauben. Diese Menschen hatten sich bestimmt nicht getötet, weil sie ins Nichts wollten. Sie glaubten wahrscheinlich eher daran, dass nach dem Tod noch etwas kam, etwas Bestimmtes, auf das sie sich vorbereitet hatten. Deshalb hatten sie sich auch hier getroffen, hier in diesem Haus und in der relativen Einsamkeit nahe London.
Das war wirklich interessant für eine Person wie Jane Collins, bei der jetzt das große Überlegen weiterging. Warum gerade dieses Haus? Sie wollte es erfahren, und da gab es eigentlich nur einen, an den sie sich wenden konnte.
»Haben Sie mit der Vergangenheit zu tun, Marian?«
»Nein, nicht ich.«
Jane horchte nach dieser Antwort auf. »Aber Sie wissen Bescheid, nehme ich an.«
Drake senkte den Kopf. Es war schon eine Antwort, wenn auch keine richtige.
»Bitte, sagen Sie was!«
»Ich habe nichts mit der Vergangenheit zu tun. Ich nicht persönlich. Es ist nur mein Name.«
»Und weiter?«
»Er war auch bei den Leuten damals dabei. Er war sogar der Anführer. Elton Drake. Seine Freunde sind ihm in den Tod gefolgt. Er hat die Dinge ins Rollen gebracht.«
»Es waren sieben, nicht?«
»Ja, das sagt man.«
»Und sieben Reiter haben wir gesehen. Reiter auf dem Bild. Schatten. Geister. Das ist es doch. Oder?«
»Möglich, Jane. Es ist der Fluch. Ich bin das Erbe. Ich kann nicht so denken wie sie. Und mich wollen sie fertigmachen. Das ist es, meine Liebe. Sie sind tot, aber sie sind nicht richtig tot. Bei ihnen muss das wohl in Erfüllung gegangen sein, was sie sich gewünscht haben. Den Tod irgendwie zu überlisten. Ob sie noch leben, glaube ich nicht. Ob sie glücklich sind, auch nicht. Und wer das Bild gemalt hat, ist mir auch unbekannt. Aber er muss jemand gewesen sein, der Bescheid gewusst hat. Und ich bin auch ein Drake.«
»Gehört Ihnen das Haus?«
»Ja, man hat es mir überlassen. Kein anderer Drake wollte es haben. Da habe ich es übernommen. Die anderen
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