1838 - Der Begleiter
was ich mit diesem alten Mann anfangen sollte, der kurz vor seinem Ende stand. Er schien aber in den letzten Minuten agiler geworden zu sein, denn so schlecht ging es ihm nicht. Sogar seine Haut hatte wieder mehr Farbe bekommen. Ich konnte ihn mit gutem Gewissen allein lassen und wollte auch gehen.
Das merkte er und fuhr mich mit einer lauter gewordenen Stimme hart an. »Nein, Sie bleiben!«
Ich starrte in sein Gesicht. Es hatte sich gerötet. Seine Augen hatten zudem einen ganz anderen Blick bekommen. Er war böser oder härter geworden, und ich sah ihn als eine Aufforderung an, doch noch zu bleiben und nicht zu verschwinden.
Ich gab nach. Allerdings setzte ich mir ein Limit. Ich wollte den Sterbenden in den nächsten fünf Minuten davon überzeugen, dass ich nichts für ihn tun konnte. Dass jeder Mensch für sich starb.
»Es geht los!« Sir Pete hatte den Satz geflüstert, und ich fragte: »Was geht los?«
»Das Sterben.«
»Was?«
»Ja, wenn ich das sage. Es ist das Sterben, das jetzt anfängt. Ob Sie es nun wahrhaben wollen oder nicht. Aber ich sterbe. Der Tod greift bereits nach mir. Es ist so kalt, so schrecklich kalt, und ich kann dagegen nichts tun.«
Aber was sollte ich tun? Verschwinden? Einfach daran denken, dass dieser Vorgang mich nichts anging? Der alte Mann war mir fremd, ich hatte mit ihm nichts zu tun.
Oder doch?
Mittlerweile war ich skeptisch geworden und auch selbst neugierig. Der Greis hatte mir so viel über das Jenseits und seine Begleitumstände erzählt, jetzt wollte ich auch wissen, ob sich die andere Seite tatsächlich zeigte.
Ich ging wieder einen Schritt auf das Sterbebett zu und fragte: »Soll ich nicht lieber einen Arzt holen?«
»Nein, das will ich nicht.«
»Aber er könnte …« Ich unterbrach mich selbst, denn ein Arzt würde auch nichts richten können. Sir Peter Dawson fing damit an, diese Welt allmählich zu verlassen.
Es gab keinen plötzlichen Herztod. Er blieb in seiner liegenden Position. Sein Mund stand offen, die Augen ebenfalls, tief in der Kehle wurde das Röcheln geboren, das ihn begleitete.
Dem Bett stand ich sehr nahe.
Und da spürte ich es.
Plötzlich war sie da. Man sprach oft von der Kälte des Todes. Hier erlebte ich sie am eigenen Leib. Ich spürte sie auf meiner Haut, und ich dachte daran, dass auch meine Hände kalt wurden, wenn ich den Sterbenden anfasste.
Er wollte nicht.
Er kämpfte gegen seinen Tod an. Sein Gesicht verzerrte sich immer mehr, der offen stehende Mund bewegte sich trotzdem, und manchmal war auch ein Röcheln zu hören.
Das blieb nicht. Es wurde schlimmer. Wenn er einatmete, dann rasselte es. Ich mochte das Geräusch nicht und spielte wieder mit dem Gedanken, Dr. Morton Bescheid zu geben.
Dazu kam ich nicht mehr, denn ich hörte den leisen Schrei, den der Sterbende ausstieß.
War das sein Ende?
Ich stand noch immer dicht am Bett und beugte mich über ihn. Dabei hatte ich den Eindruck, dass diese Kälte immer mehr zunahm. Aber es war eine andere als die mir bekannte. Und sie erwischte auch die Gestalt im Bett. Sie raubte alles. Sie nahm ihr den Sauerstoff, und Sir Peter wusste nicht mehr, wie er sich verhalten sollte.
Aber er schaffte noch weitere Worte. »Bist du da? Wenn nicht, du musst kommen. Ich habe auf dich gewartet, ich weiß, dass du in der Nähe bist, denn du berührtest mich bereits. Deine Finger sind die Kälte. Gib dich zu erkennen.«
Was sah er? Oder sah er nichts?
Ich wusste es nicht, aber ich wollte ihn auch nicht unbedingt als Lügner bezeichnen.
Er konnte noch nicht sterben. Die andere Seite ließ es nicht zu, und ich sollte Zeuge werden.
Das beließ ich dabei und spielte auch nicht mit dem Gedanken, das Zimmer zu verlassen. Jetzt wollte ich so lange warten, bis Sir Peter Dawson verstorben war.
Die Todeskälte blieb. Und sie breitete sich noch stärker aus. Ich spürte sie ebenfalls.
Plötzlich durchlief ein Zittern seinen Körper. Er holte noch einmal tief Luft, dann schrie er auf – und sackte zurück in sein Kissen.
Das war der Moment, an dem Sir Peter Dawson nicht mehr atmete …
***
Ich blieb neben dem Bett stehen, schaute auf das starre Gesicht des alten Mannes, das plötzlich so künstlich wirkte. Als wäre es von einem Modellierer geformt worden. War er wirklich tot, oder nicht? Vielleicht spielte er mir noch etwas vor, deshalb fühlte ich nach, aber da gab es nichts zu fühlen. Keinen Puls, keinen Herzschlag und auch nicht das Zucken einer Ader.
Der Mann war wirklich tot. Die Kälte
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