1842 - Ein kleiner Freund
nur auf einem Teil seiner vielgelenkigen Beine.
Eine Gruppe Umweltangepaßter kam ihr auf der anderen Straßenseite entgegen. Ihr dröhnendes Gelächter war weithin zu vernehmen. Die Kerle mit den sichelförmigen Haarkämmen machten Ilara angst, doch sie beachteten sie nicht einmal. Erst nach einer Weile wandte das Mädchen sich nach ihnen um. Ertruser erschienen ihr wie die bösen Riesen aus den uralten Sagengeschichten. Was wollten sie hier oben auf der Wohnetage? Neue Nachbarn?
Pluto begann in ihren Armen zu strampeln, sie setzte ihn wieder ab. Vor ihr weitete sich die Straße zu einer ausgedehnten Parkanlage. Die Wohnungen hier verfügten über große Balkons, die zum Teil schon fast von den weit ausladenden Baumkronen berührt wurden. Sieben Etagen lagen übereinander, und den Abschluß bildete eine gewölbte Kuppel, die den Himmel über Olymp erkennen ließ. Für einen Moment suchte Ilara nach vertrauten Sternbildern, aber das Streulicht über Trade City ließ nur einige besonders helle Sterne erkennen.
Zwei Stockwerke nach oben. Illie war zu bequem, die Rampe zu benutzen, sie ließ sich von dem für größere Lasten vorgesehenen Antigravfeld in die Höhe tragen. Ein Schwarm Vögel flatterte auf. Die Erbauer des Silos hatten Wert auf ein möglichst natürliches Umfeld für die Bewohner des Wohnturms gelegt.
Zwanzigtausend Wohnungen - Ilara Clandor konnte mit der Zahl noch nichts anfangen, assoziierte sie aber immerhin mit „wahnsinnig viel".
Annes Eltern waren wohlhabend, das ergab sich schon aus der Lage ihrer Wohnung, von der Größe ganz zu schweigen. Nicht, daß Ilara unzufrieden gewesen wäre, ganz und gar nicht, aber sie kam gerne hierher, weil der Ringkorridor zu einer der gläsernen Außenfronten führte, von denen aus Trade City weit zu überblicken war. Ilara stand oft nur da und drückte sich staunend die Nase platt.
Auch diesmal konnte sie nicht widerstehen. Trade City in der beginnenden Nacht war ein überwältigender Anblick. Boscyks Stern war bereits hinter dem Horizont versunken, nur noch verwehende Schleier des Abendrots geisterten über den Himmel. Ein tiefes Purpur und - dem Zenit entgegen - die Schwärze der Nacht bestimmten das Bild.
Die Stadt selbst hüllte sich in ein gleißendes Lichtermeer, das im Norden an den Gebirgshängen emporschwappte. Oft verschleierten Wolken die Sicht, doch heute war der Himmel klar. Ilara konnte in die Straßenschluchten hinabblicken, in denen das Leben auf vielen Ebenen pulsierte. Gleiter zogen mit blinkenden Positionslichtern gemächlich dahin, Laserstrahlen zeichneten Werbespots ans Firmament. Pluto begann zu knurren, als nur wenige Kilometer entfernt ein riesiger weißer Pudel entstand. Mühsam entzifferte Ilara die Werbeschrift - bewegte Bilder hatten sie schon immer mehr gereizt als stumpfsinnige Buchstaben.
„Schenkt eurem Kind Freude! Ein Robothund bringt den Umgang mit Tieren spielerisch nahe."
Ein Stern fiel herab, gleich darauf ein zweiter, ein dritter ... große Kugelraumer, Frachtschiffe, die aus der Milchstraße kamen. Ilara atmete hastiger, und ihr Atem beschlug die Scheibe. Mit beiden Händen drückte sie gegen das Glas. Wie Sternschnuppen zogen die Schiffe über Trade City hinweg, sie senkten sich dem Raumhafen entgegen.
„Wenn ich groß bin, fliege ich mit einem solchen Schiff", flüsterte Illie. Pluto legte den Kopf schräg und schien ihren Worten zu lauschen. „Ich will die Sterne sehen, sie sind schön."
Viel zu schnell verschwanden die Kugelraumer aus ihrem Blickfeld. Ilara suchte den Himmel nach weiteren Schiffen ab; sie reagierte enttäuscht, als sie keine fand. Trade City war auf einmal nicht mehr interessant.
„Komm!" Sie stieß sich ab und hastete vor Pluto her. Hinter ihr verwischten die fettigen Fingerabdrücke auf der selbstreinigenden Beschichtung der Scheibe.
Keinen Gedanken verschwendete Ilara an die Uhrzeit, als sie den Türmelder der Moltransschen Wohnung betätigte. Wie gewöhnlich preßte sie ihre Handfläche mehrmals hintereinander auf den Sensor.
Endlich verriet die aufleuchtende Kontrolleiste, daß jemand zu Hause war. Der kleine Bildschirm blieb allerdings dunkel. „Illie", erklang die Stimme von Annes Mutter. „Bist du allein?"
„Pluto ist bei mir. Wir wollen mit Anne spielen."
Ein kurzes Zögern. Dann: „Weißt du, wie spät es ist?"
„Zehn, glaube ich."
„Elf Uhr durch. Anne schläft längst."
„Entschuldigung", murmelte Ilara.
„Daß deine Eltern dich so spät noch gehen lassen.
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