1843 - Die Falle der Sensenfrau
Julian an der Reihe. Er blieb vor Ignatius stehen und wurde von ihm genau mit Blicken unter die Lupe genommen.
»Du bist also Julian.«
»Ja.«
»Und du bist ein Nephilim.«
»Das stimmt auch.« Die Antwort war jetzt leiser gesprochen worden. Er schien sich etwas zu fürchten.
Ignatius nahm ihm die Scheu. Er fasste die beiden Hände des jungen Mannes und schüttelte sie. »Herzlich willkommen in unserer Runde. Ich freue mich, dich zu sehen.«
»Wirklich?«
»Ja, ich lüge nicht.«
»Danke.« Julian senkte den Kopf.
»So, dann kommt erst mal rein in die gute Stube«, sagte Ignatius. »Wir haben uns bestimmt viel zu erzählen. Ich für meinen Teil habe das jedenfalls. Aber das werden wir bei einem kleinen Essen, und ich habe auch etwas zu trinken kommen lassen.«
Da hatte mein Freund das Richtige getroffen, denn Hunger verspürte ich ebenso wie Durst.
Wir betraten das Haus, das innen recht dunkel war. Es hatte schon eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Kloster und schien einen Menschen fast zu erdrücken.
Die Tür zum Arbeitszimmer des Chefs der Weißen Macht stand weit offen. Wir konnten uns schon vor dem Betreten ein Bild vom Innern machen. Ich kannte die Einrichtung ja. Der große Schreibtisch bestand aus massivem Holz, der Stuhl davor wirkte fast wie ein Thron, es war auch die mordernste Technik vorhanden, und eine Wand diente dazu, um die Aufnahmen aus einem Beamer zu zeigen, der sich unter der Decke befand. Die Fenster waren nicht eben klein, aber durch das gefärbte Glas drang nicht sehr viel Licht.
Ein dicker Teppich verschluckte die Schritte, doch wir gingen nicht auf den Schreibtisch zu, sondern wurden zu einer Sitzecke geführt, über die sich das Licht einer Lampe verteilt hatte. Es fiel auf mehrere Sessel und auf einen Tisch, der gedeckt war. Dort standen nicht nur die Gläser, die wir mit Wasser oder auch Wein füllen konnten, es gab auch die beiden ovalen Platten mit Antipasti, die freilagen, nachdem Ignatius die Folie entfernt hatte.
»Ist das das Richtige, Freunde?«
Ich lachte ihn an. »Und ob. Darauf habe ich jetzt Appetit. Schinken, Lachs, Auberginen, auch Avocados, nicht schlecht, würde ich sagen.«
»Dann lasst es euch schmecken.«
»Du isst nichts?«, fragte ich.
Ignatius nickte. »So ist es, denn ich habe keinen Hunger. Ich hatte schon etwas gegessen.«
Ich wusste nicht, wie ich meinen alten Freund einschätzen sollte. Seine Freude erschien mir ein wenig gespielt oder aufgesetzt. Es konnte durchaus sein, dass er alles andere als fröhlich war. Das sollte uns aber nicht davon abhalten, etwas zu essen. Ich gönnte mir dazu ein Glas Rotwein, trank aber auch Wasser.
Julian schien sich wohl zu fühlen. Er aß mit großem Appetit, was mich freute, und auch Suko langte kräftig zu.
»Fühlst du dich noch immer wohl?«, fragte ich Ignatius.
»Ja.«
»Das ist schön.«
»Ich kann nicht klagen.«
»Und du kommst auch mit der Verantwortung zurecht, die du übernommen hast?«
»Ja, John, das komme ich. Aber ich weiß auch, dass es nicht einfach ist. Deshalb habe ich reagiert und einen Teil meiner Verantwortung abgegeben. Obwohl ich noch immer die Oberaufsicht habe.«
»Ach, du hast delegiert?«
»Das musste sein.«
»Sehr gut.«
»Man wird nicht jünger.«
Ich winkte ab. »Ja, ja, wem sagst du das?«
»Und die Feinde sind nach wie vor da. Sie nehmen immer weniger Rücksicht.«
»Dann bin ich gespannt.«
Er lächelte. »Wieso?«
Ich lächelte zurück. Dann sagte ich: »Wir sehen uns zwar nicht sehr oft, aber das ist auch nicht nötig, um dich zu kennen, mein Freund.«
»Aha. Und worauf willst du hinaus?«
Ich nahm einen Schluck Rotwein und sagte: »Etwas ist mit dir. Oder etwas ist passiert.«
»Wie kommst du darauf?«
»Durch dein Verhalten. Es kam mir etwas übertrieben oder auch überspielt vor.«
Der Chef der Weißen Macht senkte den Kopf. Er wollte meinem Blick ausweichen und tat das auch, als er einen Schluck Wasser trank.
Dann hörte ich seine Antwort, und auch Suko lauschte der etwas leiser gewordenen Stimme.
»Du hast recht, John, es ist etwas geschehen.«
»Schlimm?«
»Sehr schlimm.« Er räusperte sich. »Es geht hier um einen Angriff, der mich vorhin getroffen hat. Einer meiner Leute ist hier ermordet worden und ich wurde Zeuge.«
»Was? Hier?«
»Nicht hier im Raum. Es war im Garten. Da hat man ihn leider erwischt.«
»Und wer war es?«
»Er hieß Luigi.« Ignatius stöhnte leise auf. Danach hatte er sich gesammelt und erstattete uns Bericht. Wir
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