185 - Ein Albtraum erwacht
gehöriges Tempo vor. Immer wieder wollte Aruula stehen bleiben, Luft holen, ihre schmerzenden Glieder entspannen. Irgendetwas hinderte sie daran. Das kleine flackernde Licht des brennenden Astes, den der Anangu trug, wurde allmählich zum einzigen Anhaltspunkt inmitten der Schwärze der Nacht.
Der Himmel war ausnahmsweise wolkenverhangen.
Unvermittelt spürte sie die Kälte. Schweiß trocknete auf ihrer Haut, bildete juckende Flächen.
Längst war die Staubfahne nicht mehr zu sehen. Es ging stetig einen flach ansteigenden Hügel hinan. Dahinter musste sich die Tierherde befinden, die der Anangu mit ihr bejagen wollte.
Warum, bei Orguudoo, schlich sich der Mann mit dem Wind an? Die Herde würde sie mit Sicherheit wittern und das Weite suchen. Oder handelte es sich bei der vermeintlichen Beute um Raubtiere, die keine Bedrohung scheuten?
Aruula presste ihre Fingernägel tief in die Haut. Immer wieder tauchten Fragen auf, die sie beschäftigten, und niemand fand sich bereit, Antworten zu geben. Es war zum Verrückt werden!
Der Gipfel des sanften Hügels war erreicht. Irgendwo dort unten, halbrechts, befand sich ihr Ziel. Angestrengt blickte Aruula hinab.
Was war das?
Kleine weiße Punkte irrlichterten durch die Dunkelheit. Sie schwenkten wie suchend nach links und rechts.
Waren das armlange Glühwürmer? Nachtjäger mit messerscharfen Zähnchen, wie sie sie aus dem Norden Eurees kannte?
Der Anangu ergriff ihren Oberarm. Er drehte den Kopf beiseite, als lauschte er. Aruula tat es ihm gleich.
Der Herzschlag der Barbarin, der sich eben erst beruhigt hatte, beschleunigte sich wieder. Vom Tal klangen Geräusche herauf, die sie lange nicht mehr gehört hatte. Solche, die sie stets mit Maddrax in Verbindung brachte.
Dort unten bewegten sich – Maschinen!
***
Der Anangu betrachtete sie prüfend im Licht der allmählich verglimmenden Fackel. Dann blickte er nach oben, als erwartete er Anweisungen von einer höheren Macht.
War dies ihre Chance? Sollte sie einen Fluchtversuch wagen und darauf hoffen, dass die Schwäche in ihr allmählich verklingen würde?
Ihr Begleiter nickte kurz, murmelte irgendetwas Unverständliches und drehte sich überraschend um. Mit seinem bekannten Schritt entfernte er sich, ließ Aruula einfach stehen.
Metallenes Klackern erklang.
Ihre Waffen! Der Anangu hatte sie zu Boden fallen lassen und suchte nun das Weite! Hastig nahm Aruula Schwert und Messer an sich.
Der Mann war bereits vollends mit der Dunkelheit verschmolzen. Er hatte die Fackel gelöscht, als brauchte er kein Licht zur Orientierung, während er zu seinen Freunden zurückeilte.
Aruula begriff gar nichts mehr. Die Anangu hatten sie querfeldein durch die Wüste gehetzt, um sie hier, inmitten eines eintönigen Nirgendwo, einfach stehen zu lassen? Wo lag da der Sinn? Verhaltenes Gelächter drang an Aruulas Ohren.
Unten im Tal zogen andere Menschen vorbei. Offenbar reisten sie an Bord jener sonderbaren Maschinen, deren unheimliche Kraft sie schon so oft erlebt und gefühlt hatte.
Sie fühlte sich mit einem Mal leicht; so leicht, als sei eine schwere Bürde von ihr abgefallen. Ihre Gedanken klärten sich, all ihre Sinne funktionierten besser.
Die Anangu gaben sie tatsächlich frei! Sie erwarteten von ihr, dass sie hinab lief und mit diesen Menschen dort unten weiter zog.
Aruula lächelte erleichtert. Nichts lieber als das!
Sie musste sich sputen, um die scheppernden und klackernden Fahrzeuge zu erreichen. Die heutige Nacht verlangte eine letzte Anstrengung von ihrem geplagten Körper.
Seltsam. Angesichts des Zieles bedeuteten ihr die körperlichen Schmerzen gar nichts mehr.
4.
»Scher dich zur Seite, Aluur!«, forderte einer der Wagenführer grob. »Ich muss mich aufs Fahren konzentrieren und hab keine Zeit für deine Spinnereien.« Benjaa schickte seinen Worten einen deftigen Fluch hinterher, der mehrere Generationen seiner Vorfahren und diverse Fäkalienhaufen mit einbezog.
Aluur kümmerte es nicht. All die Demütigungen hatten längst keine Bedeutung mehr für ihn. Ja, in seiner Kindheit hatte er gerotzt und geweint, weil ihn die Wagenführer, Händler und Marketenderinnen stets mit beleidigenden Worten bedachten.
Aber das dicke Fell, das er sich im Laufe der Jahre zugelegt hatte, war kaum mehr zu durchdringen.
Immerhin stand er unter einem gewissen Schutz. Sein Vater, der Rabbadaag, führte die Handelskarawane mit einem untrüglichen Gespür über das Land. Er fand im Vorbeifahren die spärlichen Spuren
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