1868 - Hoffnung der Tolkander
niemand sonderlich über das Geschehnis aufzuregen. Sie nahmen es hin und machten sich nun an die Aufräumungs- und Reparaturarbeiten, wenn auch ohne besondere Eile.
Bevor Bré Tsinga nach Jafko schauen konnte, kam er schon angerannt. Der Husslar begrüßte sie stürmisch und schien dann enttäuscht, als sie sich kaum um ihn kümmerte. Sie tätschelte seinen bulligen Schädel und schob ihn dann beiseite mehr symbolisch, denn seine sieben Zentner konnte sie ohne seine Einwilligung nicht einmal um einen Millimeter verschieben.
Der Husslar verstand, daß er nicht erwünscht war. Doch er begriff nicht, weshalb. Seine goldgesprenkelten Augen wurden feucht, und er miaute kläglich. So knapp dem Tode entronnen, und seiner Freundin schien es ganz egal zu sein!
„Ich habe so viel zu tun", sagte sie abwesend. „Später dann, Jafko. Sei brav und geh in die Kabine zurück. Ich komme, sobald ich kann. Du siehst ja, was hier los ist."
Jafko maunzte noch einmal und stupste zärtlich ihre Hand, vorsichtig darauf bedacht, sie nicht mit dem langen Reißzahn zu verletzen. Als sie nicht reagierte, wandte er sich ab. Beim Hinausgehen warf er noch einen verständnislosen und traurigen Blick auf Clark Mahony, der seine sonst stets unerwünschte - Anwesenheit nicht einmal zur Kenntnis genommen zu haben schien, und trollte sich.
„Weißt du, was mich wundert?" sagte Bré Tsinga zu dem Chefmediker, während sie mit dem Zeigefinger auf der Stuhllehne einige wirre Muster nachzeichnete, die sich durch verspritzenden Kaffee gebildet hatten.
„Was denn?" fragte Clark Mahony zurück.
„Na ja, wir sind doch jetzt im Einflußbereich des Philosophen. Aber soll ich dir was sagen? Ich spüre nichts, gar nichts."
„Das geht mir auch so", stimmte der Chefmediker zu. „Anscheinend hat es auf uns noch keine Wirkung.
Vielleicht dauert das länger, je nachdem. Du solltest unbedingt Aufzeichnungen darüber führen. Vielleicht verzögert oder verringert ein stark erregter Zustand die Wirkung. Und zumindest kannst du die Auswirkungen jetzt endlich erforschen, wie du es immer gewollt hast. Wenngleich auch die Umstände, die dazu geführt haben, nicht so geplant waren."
„Dann habe ich auch endlich etwas zu tun. Bis die FARGO wieder manövrierfähig ist und ins Solsystem fliegen kann, werde ich mich in die Arbeit stürzen." Bré Tsingas Stimme verlor sich.
Das Muster, das sich immer wieder von neuem unter ihrem Finger bildete, faszinierte sie zu sehr. Sie war irritiert, fand nicht die richtigen Muster, probierte immer neue aus.
Bis sie einen Kreis zeichnete ...
Egal, wie sie den Finger nun bewegte, immer wieder bildeten sich Kreise, große und kleine, aber perfekt und voller Anmut. Sie hatte gar nicht gewußt, welche angenehm beruhigende Wirkung das Zeichnen von Kreisen auf die Psyche hatte. Damit mußte sie sich unbedingt zuerst beschäftigen, bevor sie sich direkt mit dem Philosophen befaßte.
Auf einmal war sie glücklich.
*
Die nächsten knapp zwölf Tage lagen wie unter einem Nebel und konnten nur im nachhinein rekonstruiert werden. Es war ja nicht so, daß Bré Tsinga oder der Rest der Besatzung der FARGO komplett den Verstand verloren. Sie gingen sogar teilweise weiterhin ihrer Aufgabe nach, jedoch natürlich in sehr verlangsamtem Tempo.
Ihr Verstand war mit ganz anderen, elementar wichtigen Dingen angefüllt. Obwohl sie während dieser Zeit der Ansicht waren, dem Einfluß des Philosophen nicht erlegen zu sein, zeigten sie alle Symptome des Kritzelwahns und diskutierten über die Schönheit von Kreisen.
Bré Tsinga erging es da nicht anders. Sie fertigte Bilder mit Kreisen an und stellte sie zur Diskussion, führte genau Buch über alle Wahrnehmungen und verglich die Resultate miteinander. Sie glaubte, an nichts anderes mehr zu denken, und zeigte sich jeden Tag ein bißchen glücklicher.
Diese Analysen gab sie in leicht verständlicher Form an eine andächtige Zuhörerschar weiter, die täglich wuchs. Bald war sie als absolute KreisExpertin anerkannt, und jeder war davon überzeugt, daß es ihr allein gelingen würde, dieser fremden Macht demnächst den Garaus zumachen. Und daß das bald der Fall sein würde, darüber konnte gar kein Zweifel bestehen.
Das alles dauerte bis zum ersten Flimmerphänomen am 10. Juli. Für rund zehn Minuten fiel die Syntronik an Bord der FARGO aus. Für diese Zeit starb das Schiff und hing dunkel im Orbit von Olymp. Die Besatzungsmitglieder merkten jedoch nichts davon, weil sie gleichzeitig
Weitere Kostenlose Bücher