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1894 - Das vergessene Volk

Titel: 1894 - Das vergessene Volk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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gewaltigen Menge, und sie wissen auch nicht, wonach sie suchen müssen. Es geht uns zusehends schlechter, und wir haben Angst, den Faden zu verlieren.
    (Ich merke das selbst, denn die Pausen zwischen dem Schreiben werden immer länger und immer häufiger muß ich noch einmal alles lesen, um mich zu erinnern, was ich überhaupt berichten will. Ich bitte also um Verzeihung, falls es ein wenig zusammenhanglos wird; in erster Linie bitte ich mich selbst darum, wenn ich wieder gesunden und diese Aufzeichnungen durchgehen sollte.) Wir wollen nach wie vor sowenig Energie wie möglich verbrauchen und darauf hoffen, daß eines Tages Hilfe kommt.
    Ja, und inzwischen geht der Shh’taterone weiterhin um und verbreitet Angst und Schrecken. Bisher nur ein gestaltloser Geist, zeigte sich vor zwei Tagen, daß Ungeheuer nicht unbedingt nur im Märchen vorkommen.
    In jener Nacht brachte der Shh’taterone zwei meiner Freunde um.
    Es ging alles ganz schnell. Wir hörten fürchterliche Schreie aus einer Hütte und liefen sofort hin, alle, die in der Nähe wohnten und aus dem Schlaf hochgeschreckt waren.
    Mir schwante bereits Schreckliches, als ich feststellen mußte, daß die Tür nicht verriegelt war. Und als wir dann hineinstürmten, mit allem möglichen „bewaffnet", was wir in der Eile erwischen konnten, war schon alles vorüber.
    Tatruuna lag am Boden, nicht mehr als eine verwelkte Hülle. Erbarmungswürdig. Wir waren so geschockt, daß wir uns einen Moment nicht rühren konnten.
    Und dann hörten wir schon die nächsten Schreie. In unserem Eifer war keinem aufgefallen, daß der Räuber hinter der Tür gewartet hatte, um unbemerkt hinauszukommen. Während wir voller Schock auf die Überreste unserer Gefährtin starrten, hatte er die Türen der Nachbarschaft abgesucht - und eine weitere unverriegelte gefunden.
    Doch schon beim ersten Schrei kamen wir zu uns. Ich wußte, daß der Schrei von Krudan gekommen war, er hatte schon immer einen so tiefen Schlaf gehabt, daß er höchstens von einem Erdbeben hätte geweckt werden können. Wobei es auf Kolkenhain noch nie ein Erdbeben gegeben hatte.
    Er hatte als einziger nichts mitbekommen und mußte das nun mit dem Leben bezahlen. Auch er hatte vergessen, die Tür zu verriegeln - eine Absicht kann ich weder ihm noch Tatruuna unterstellen. So etwas passiert in letzter Zeit immer öfter.
    Auch diesmal entkam sein Mörder, und wir konnten Krudan nicht retten.
    Aber nun sahen wir ihn. Gerade als wir bei der Hütte ankamen, stürmte er aus dem Haus: ein leuchtender, blauvioletter Schemen, mit voll ausgefahrenem Röhrenrachen. Ein funkensprühender, fauchender und grollender Shh’taterone, so schnell, daß man seine monströsen, fließenden Konturen unmöglich im Detail erkennen konnte. Er sah trotzdem grauenvoll aus, und wir wichen voller Entsetzen zurück. Er rannte mitten durch uns hindurch, dem offenen Land zu, und war schon nach kurzer Zeit unserer Sicht vollständig entschwunden, als wäre er nie dagewesen.
    Nur noch das ferne Grollen, das uns seit einiger Zeit umgibt, und das wir nicht lokalisieren konnten, war noch zu hören. Jetzt wissen wir, daß es der Shh’taterone ist, der nach uns ruft. Einmal erwacht, ist er also immer in unserer Nähe und lauert auf uns.
    Ich suchte sofort nach meiner Prurro, die hilflos zitternd unter den anderen stand.
    „Es ist doch wahr, Vater", flüsterte sie bebend. „Er existiert wirklich, ich habe ihn selbst gesehen ..."
    „Wir hätten stets viel Zeit gehabt, Geschichten zu erfinden, mein Kind, aber wir haben es nicht getan. Es ist auch so schwer genug für uns. Seit Anbeginn unserer neuen Existenz hier auf Kolkenhain." Ich nahm sie in meine Arme, überglücklich, daß ihr nichts geschehen war.
    „Wenn wir nicht rechtzeitig alle auf den Beinen gewesen wären, hätte er noch viel mehr von uns umgebracht", fuhr ich fort. „Er wird seinen Hunger sicherlich nicht ganz gestillt haben. Nun wird er einsam die Steppe durchstreifen und nur ausgezehrte Tiere finden, vielleicht einen Marmellore, aber die Eier nutzen ihm nichts ..."
    „Hast du etwa Mitleid mit ihm? Er sah so grauenhaft aus ..."
    „Prurro, in der Gemeinschaft brauchen wir ihn nicht zu fürchten, auch nicht, wenn wir unsere Häuser verschließen, was sicherlich von nun an jeder wieder tun wird. Der Shh’taterone ist nur hungrig, und er hat sich lediglich an die Art seiner Nahrung angepaßt. Solange wir sein Grollen hören können, ist er nicht gefährlich.
    Erst wenn er schweigt, geht er auf

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