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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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war das? Was hatte das zu bedeuten?! Sie mochten dabei wohl an uns, an die Mekkaner und ihren Scheik denken; aber aus welchem Grund konnte es einem von den genannten Leuten einfallen, in dieser befremdenden Weise vom Brunnen hierher zu kommen! Sie standen still, erwartungsvoll und stumm. Je mehr der Blinde sich ihnen näherte, desto deutlicher wurde ihnen seine Gestalt. Seine hoch aufgerichtete Figur, seine langsamen, feierlichen Schritte verfehlten ihren Eindruck nicht. Sie wurden bestürzt. Sein ehrwürdiges Gesicht, sein langer, silberweiß glänzender Bart trat immer mehr hervor. Dazu seine wallende Kleidung, welche weit mehr als ein europäischer Anzug geeignet war, ihm ein geisterhaftes Aussehen zu verleihen, das bewegliche Flackern der Fackeln, deren düsterrot glühende Lichter mit hin und her huschenden Schatten wechselten, als ob er von tanzenden, springenden und schleichenden Dschinnen (Geister) umgeben und begleitet werde – ihre Bestürzung wuchs und verwandelte sich in Furcht. Jetzt, jetzt erkannten sie sein Gesicht, und die Entscheidung, ob wir unsere Absicht erreichen würden oder nicht, war gekommen. Wenn sie ihre Angst bemeisterten und ihn festnahmen, hatten wir uns im höchsten Grade lächerlich gemacht und unsere Angelegenheit verschlimmert anstatt verbessert!
    Aufrichtig gestanden, war ich beinahe überzeugt, daß wir einen Mißerfolg haben würden; nicht so aber die Haddedihn, welche vor Spannung kaum zu atmen wagten und bereit zum schnellen Vorwärtsspringen waren.
    „Es gelingt, es gelingt vortrefflich!“ raunte Halef seiner Hanneh und mir zu. „Sie haben solche Angst, daß es mir ist, als ob ich sie zittern sähe!“
    „Ja, es gelingt!“ stimmte sie bei. „Wie schön, daß ihr mich mitgenommen habt! Paßt auf! Nur noch einen Augenblick, so werden sie die Flucht ergreifen!“
    Ich zweifelte noch immer; aber die ‚beste aller Frauen‘ sollte Recht bekommen; denn gerade jetzt ertönten von den Feuern her die Rufe:
    „El Chajal, el Chajal – das Gespenst, das Gespenst! Allah beschütze uns! Reißt aus, reißt aus!“
    Hierauf wurden alle vorhandenen Beine, die nicht gefesselt waren, so energisch in Bewegung gesetzt, daß wir nach nur einigen Sekunden keinen einzigen Ben Khalid mehr sehen konnten. Nun schnellten die Haddedihn vorwärts, Halef an ihrer Spitze; ich folgte ihnen, allerdings etwas langsamer. Hanneh sollte eigentlich stehenbleiben, war aber über das Gelingen ihres Planes so enthusiasmiert, daß sie, die gebotene weibliche Zurückhaltung ganz vergessend, sich auch in eilige Bewegung setzte, mir zurufend:
    „Mach schnell, Effendi, mach schnell! Haltet den Münedschi auf, sonst läuft er grad in das Feuer hinein!“
    Da diese Warnung nicht ganz unnötig war, folgte ich ihr und erreichte den Blinden so, daß er kaum noch zehn oder zwölf Schritte zu tun brauchte, um sein bis zur Erde herabreichendes Gewand in Flammen zu setzen. Als ich ihn angehalten hatte, war Hanneh auch schon da. Ich nahm ihm die Fackeln aus den Händen, übergab ihn ihr und bat sie:
    „Führe ihn fort, dahin zurück, wo wir gestanden haben! Ihr dürft uns hier nicht im Wege sein!“
    „Aber, Effendi, ich will doch zusehen!“ entgegnete sie.
    „Das ist unmöglich; das geht nicht so, wie du denkst! Schau, wie alle sich beeilen! Wir müssen schnell sein, denn wenn die Beni Khalid sehen, was hier geschieht, so kehren sie zurück, und ihr beide könnt euch nicht so rasch entfernen, wie es notwendig ist. Fort, also, fort! Oder willst du uns zwingen, deinetwegen Blut zu vergießen?“
    „Das nicht; nein; ich gehe schon!“
    Sie nahm den Blinden bei der Hand und entfernte sich mit ihm. Ich hatte, während ich mit ihr sprach, die Fackeln, natürlich mit den Griffen nach unten, so daß sie weiterbrannten, in den Sand gesteckt und nahm den übergehängten vielschüssigen Stutzen vor, um die etwa zurückeilenden Beduinen durch ein ihnen unbegreifliches Schnellfeuer abzuschrecken; aber sie schienen so weit gelaufen zu sein, daß sie das, was jetzt hier vorging, wohl nicht genau sehen konnten.
    Das erste, was unsere Haddedihn taten, war natürlich, die Soldaten zu befreien; diese sprangen, sobald sie nicht mehr gebunden waren, auf.
    „Nun möchten wir eure Kamele haben“, sagte Halef zu ihnen; „die sind aber in der Dunkelheit nicht schnell genug herauszufinden!“
    Es war ein Unteroffizier bei ihnen; dieser antwortete:
    „Wir wissen, wo sie sind. Es ist die erste Reihe dort am Felsen. Die andern Reihen

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