19 - Am Jenseits
die seinigen; die ihrigen stehen in euern Büchern schon verzeichnet; die seinigen sind noch zu entdecken. Wenn ihr an der Erforschung dieser himmlischen Gebiete in treuer Begeisterung arbeitet, so schärft ihr die seelischen Augen, welche bisher geschlossen waren; es wächst ihre Übung im Erkennen, und bald werden sie dann schauen, was jetzt für sie noch im Verborgenen liegt. Die Menschheit ist wohlgeübt in irdischen Dingen, aber in himmlischen nicht. Bindet einen eurer Füße herauf, fest an den Körper, und bewegt euch hinfort auf dem andern; der gefesselte wird nach und nach steif, wird verdorren und euch schließlich seinen Dienst, wenn ihr ihn braucht, versagen. So humpelt und springt der Mensch jetzt einbeinig durchs Leben; nur für den irdischen Wandel gerüstet, fehlt ihm für den Pfad zum Jenseits der Fuß. Darum übt euch im Gehen auf diesem himmlischen Weg; er ist nicht so schwierig und eintönig, wie ihr meint! Führt er auch anfangs über rauhe, steinige Strecken, so kommt ihr doch bald durch Gefilde, wie sie euch so herrlich der andere niemals kann bieten, und aufgehen wird euch dann weiter und mehr die erhabene, strahlende Pracht, die jenseits des Zweifels dem gläubigen Blick sich erschließt. Ihr sollt euch ja freuen über das auf der Erde für die Erde Errungene, denn der Kampf mit dem Leben und der Erfolg geistigen Forschens stählen auch die seelische Kraft. Doch bietet der Weg nach dem Jenseits euch noch höhere Freuden, die sich dann am Ziele vergrößern zur seligen, ewigen Wonne. Zwei Pflichten also sind es, zu deren Erfüllung euch der Herr berufen hat: Ihr sollt mit allen euch gegebenen Kräften für das Diesseits und für das Jenseits wirken. Doch sind diese Pflichten eigentlich nicht zwei, sondern nur eine: Ihr sollt im Diesseits für das Jenseits wirken. Und wie wenig ist das doch bisher geschehen! Das Diesseits nahm die Tätigkeit des Menschen so für sich gefangen, daß er jetzt, nach einer Reihe von Jahrtausenden, noch am Beginn des Himmelspfads steht und nicht einmal Es Setschme, den Ort der Sichtung, kennt, der zwischen dem Augenblicke des Sterbens und dem Tor der Himmel sich befindet. Ich schaue in eure Herzen und sehe in ihnen das Verlangen nach dem Licht jener Welt. Zwar darf ich euch nicht jene Sphären zeigen, in denen Gott mit seinen Seligen wohnt, denn vor dem Glanz der Herrlichkeit dort oben würde euer Auge gleich bei dem ersten Blick erblinden; aber nach diesem Ort der Sichtung, nach diesem Vorhof kann ich eure Seelen führen. Ihr sollt euch meiner Führung anvertrauen und eine kleine Erdenstunde lang am offenen Jenseits stehen. Was ihr dort seht, merkt's euch fürs ganze Leben! Ich tue es, um euch eine Ahnung dessen zu geben, was der Glaube, den ich meine und für den ihr nicht das rechte Wort besitzt, zu sehen und zu erreichen vermag, während selbst eurer höchsten Gelehrsamkeit dort der Zutritt streng und für ewig verboten ist. Denn, sage ich euch, am Tag des Gerichts, welcher für die Verstorbenen eher beginnt und länger währt, als ihr hier unten denkt, wird niemand über den Reichtum seines Geistes, sondern ein jeder nur über die Schätze seines Herzens Rechenschaft abzulegen haben. Es wird nicht zwischen gebildet oder ungebildet, sondern nur zwischen gut oder bös, zwischen Liebe und Lieblosigkeit unterschieden. Ich werde jetzt meinem Freund, durch den ich zu euch spreche, zeigen, was ihr wissen sollt; er sagt es euch, und wenn ihr etwas nicht versteht, so dürft ihr fragen; doch Erkundigungen irdischer Neugierde werden unbeantwortet bleiben.“
Es ist unmöglich, die Stimmung zu beschreiben, in welcher ich mich jetzt befand. Über uns der mit einem nicht eigentlich sichtbar doch wahrnehmbaren Schleier bedeckte Himmel, an welchem nur die Sterne bis mit vierter Größe zu sehen waren, um uns die im unzureichenden Schein dieser Sterne liegende Wüste mit ihrer geheimnisvollen Verschwiegenheit, vor uns der rätselhafte Mann, der für das Diesseits blind war, aber für das Jenseits sehend zu sein behauptete, und in uns die Ahnung der Enthüllung und Beleuchtung einer bisher unerforschten Dunkelheit! Aber wo lag dieser ‚Ort der Sichtung‘, von welchem wir gehört hatten? Wirklich und wahrhaftig im Jenseits, oder in der Einbildung eines phantastischen, vielleicht gar geisteskranken Menschen? Worauf würden wir die versprochene Aufklärung zu beziehen haben? Auf einen der höchsten und wichtigsten unserer Glaubenssätze oder auf die Träumereien und Truggebilde
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