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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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weißt, das werde ich dir erklären.“
    Der Münedschi berichtete:
    „Es versammelt sich soeben eine große, große Menge von Leuten, welche fromm die Hände falten und still ergeben ihre Köpfe senken. Ihre Lippen bewegen sich im Gebet. Ihnen vorangetragen wird eine Standarte, auf welcher das Wort ‚Dijanet‘ (Frömmigkeit, Gottesfurcht) zu lesen ist. Das sind gute Menschen, welche gewiß glücklich über die Brücke hinüberkommen!“
    „Du irrst. Du lassest dich von ihrer zur Schau getragenen Frömmigkeit ebenso täuschen, wie die Genossen ihres Erdenlebens von ihnen betrogen worden sind. Das sind die Gewohnheitsbesucher der Kirchen und Moscheen. Sie versäumten keinen Gottesdienst und saßen da auf ihren mit Geld bezahlten, wohlnummerierten Plätzen, auf welche sich ja kein anderer setzen durfte, wenn er nicht zu seiner öffentlichen Beschämung von ihnen hinweggestoßen werden wollte. Sie gingen zur bestimmten Zeit und in dem dazu bestimmten Rock nach dem Gotteshaus, gesenkten Blickes, wie auch jetzt, und die Fattha oder das Gesangbuch von den Händen innig umschlungen. Dabei aber blickten sie verstohlen nach rechts und links, ob man sie denn auch gehen sehe. Sie sprachen ihre Gebete oder sangen die vorgeschriebenen Lieder; sie hörten die Worte des Predigers, und wurde ihnen das zu langweilig, so ließen sie sich andachtsvoll in das süße Schläfchen des Bewußtseins fallen, daß sie das alles wohl schon tausendmal gehört hätten und es also ebensogut wüßten, wie der Mann dort auf der Kanzel. Dann gingen sie erhobenen Hauptes heim, denn sie hatten jetzt für diese Woche ihre Pflicht getan und dadurch Gott gezwungen, ihnen nun auch eine Woche lang dafür dankbar zu sein. Sie forderten von diesem Gott, daß die Nummer des Platzes, den sie für sich gelöst und nur höchst selten leer gelassen hatten, in das Buch des Lebens eingetragen werde, weil nur ihnen, und ja keinem andern, das wohlerworbene Recht zustehe, auf ganz derselben Nummer der Seligkeit auch im Himmel zu sitzen. Dieser Himmel aber ist unnummeriert und hat also nicht den auf der Erde bezahlten Platz für sie; sie werden alle, alle von der Brücke in den Abgrund stürzen. Weiter!“
    „Ich sehe freundliche Menschen sich um ein Banner scharen, welches das Wort ‚Kerem‘ (Güte) trägt. Auf ihren Gesichtern glänzt das Lächeln der Sanftmut, der Milde, der Güte, der Weichherzigkeit. Sie sind in Liebe vereint; sie drücken sich die Hände und scheinen so froh darüber zu sein, daß sie sich hier zusammengefunden haben. Die leitet ein Engel hinüber, ganz gewiß!“
    „Nein! Das sind die sogenannten ‚guten Menschen‘, die Sanften, die Angenehmen, die stets Friedlichen, die Wohltäter, die Barmherzigen, die wegen ihrer Menschenfreundlichkeit so oft und viel Gepriesenen. Du nennst ihr Lächeln sanft und mild; aber die Waage dort wird es als Selbstgefälligkeit bezeichnen. Diese edlen Menschen waren nur freundlich, um gerühmt zu werden. Ihre Nächstenliebe, ihre Sanftmut besaß einen verborgenen Skorpionenstachel. Es war ihnen eine Lust, bei dem freundlichsten Gesicht und während der gütigsten Rede ein tief- und schwerverletzendes Wort in die Seele ihres Nächsten zu bohren und dadurch sein Leben zu vergiften. Sie wußten, daß der Glanz ihrer Wohltaten auf sie selbst zurückfallen werde; sie erwiesen sie also nicht andern, sondern sich selbst. Ihre stete, rücksichtsvolle Höflichkeit war nur Schein, war berechnet, denn sie wußten, daß man einer solchen Liebenswürdigkeit nicht leicht einen Wunsch abschlagen könne. Diese stets nach außen strahlende Huld und Leutseligkeit war innerlich ein Vampir, welcher die von dieser Huld Getäuschten möglichst auszusaugen wußte. Siehst du, wie ihre Schar sich mehr und mehr vergrößert? Wundere dich ja nicht darüber, denn zu ihnen gehören alle jene guten Freunde und Freundinnen, deren gleißende Anhänglichkeit nichts als Selbstsucht war. Sie benutzten dich selbst und deinen Einfluß, deine Güter; sie forschten mit Begierde nach allen deinen Schwächen und Fehlern, um sie sich dienstbar zu machen oder sie mit ihresgleichen zu belachen. Sie nisten sich bei dir ein wie Flöhe der Wüste, deren Stich erst ein wohltuendes Jucken, dann aber schmerzende und gefährliche Geschwüre erzeugt. Sie freuten sich lauter als du, wenn du dich freutest, barsten dabei aber heimlich fast vor Neid; sie nahmen scheinbar tief betrübt an deiner Trauer teil, fühlten sich aber im Herzen glücklich darüber. Sie

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