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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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abbrechen kann, um dich hinauf ins ewig feste Haus, ins Vaterhaus, zu rufen!“
    Er machte hier wieder eine Pause, während welcher er leise vor sich hinflüsterte, als ob er mit jemand spreche, den wir nicht sehen und nicht hören konnten. Dann sagte er wieder laut:
    „So ist also deine Tätigkeit geteilt zwischen hier und dort, du hast nach irdischer Erkenntnis und nach himmlischer zu trachten; die irdische brauchst du für nur kurze Zeit, die himmlische aber für die Ewigkeit; diese letztere ist also unendlich wichtiger als die erstere. Ihr aber handelt in trauriger Verblendung grad umgekehrt! Ihr arbeitet, als ob die Erde und euer hiesiges Leben mit ihr von ewiger Dauer, das Jenseits aber nur der vergängliche, trügerische Traum eines kurzen Schlummers sei. Und wer oder was ist schuld daran? Nur diese eure Verblendung, welche euch verhindert, einzusehen, daß es zweierlei Erkenntnis gibt. Zur Erkenntnis des Irdischen führt euch die Wissenschaft; die Erkenntnis des Jenseits bietet euch nur der Glaube. Jeder einzelne Gelehrte ist stolz auf seine kleine, irdische Wissenschaft, und der Stolz aller Gelehrten, die es gab und gibt, zusammengenommen, lieferte das Material zu einer Mauer der Einbildung und Überhebung, mit welcher ihr euch umgeben und eingeschlossen habt. Hinter dieser Mauer sitzt ihr als Gefangene eurer Wissenschaft und könnt nun nicht mehr über sie, die immer höher steigt, hinweg und hinaus ins Weite blicken. Das kleine, runde Stück Himmel, welches ihr über euch noch sehen könnt, imponiert euch nicht, weil es eurer Gelehrsamkeit ja so leicht wird, die Luft da oben in Stick- und Sauerstoff, und das darin flutende Licht mit einem Stückchen Glas in Farben zu zerlegen. Seht doch ein, daß dies auch noch zur irdischen Erkenntnis gehört und mit der himmlischen nicht im geringsten in Beziehung steht! Und wenn es euch gelänge, die Sonne und alle Planeten, welche sie umkreisen, bis auf ihre Mittelpunkte zu erforschen, so würde das noch kein einziger Schritt zur Erkenntnis des Jenseits sein. Steigt mit eurer Wissenschaft noch über die Bahn der Sonne hinaus, um noch fernere Sonnen, fernere Welten zu berechnen; es wird euch wohl auch das gelingen; aber ihr habt es doch nur immer mit Stoff und Kraft zu tun; die Seele bleibt euch unerforscht. Vor dem Jenseits sinkt eure Wissenschaft, eure Gelehrsamkeit in sich zusammen, denn hier handelt es sich nicht um die irdische, sondern um die himmlische Erkenntnis, zu welcher nur der Glaube führt. Wißt ihr, was Glaube ist?“
    Er sprach diese Frage in verstärktem, aufforderndem Tone aus und richtete das Gesicht zu uns nieder, als ob er eine Antwort erwarte. Ich sagte darum, obgleich ich nicht wußte, ob ich ihn unterbrechen dürfe oder nicht:
    „Der Glaube ist das geistliche Sehen dessen, was das körperliche Auge nicht sieht.“
    Er gab weder eine Zustimmung noch einen Widerspruch, sondern sprach, als ob er meine Worte nicht gehört habe, weiter:
    „Dieses Wort hat bei euch nicht die volle Bedeutung des Begriffes, den es ausdrücken soll. Für das, was der Glaube ist, hat keine Erdensprache das richtige, den ganzen Sinn umfassende Wort. Das Wort Glaube bezeichnet bei euch eine Zuversicht ohne den tatsächlichen Beweis; aber bei denen, die nicht in irdischen Leibern wohnen, bedeutet der Glaube eine jeden Irrtum ausschließende Überzeugung, welche auf der innigsten Vereinigung des Glaubenden mit dem Gegenstande des Glaubens beruht und darum nicht das Ergebnis eines auch nur eine Erdensekunde langen oder gar Jahrhunderte in Anspruch nehmenden Forschens ist. Darum steht der Glaube so unendlich hoch über der Wissenschaft. Könnte ich euch ein Beispiel geben, euch dies zu erklären! Hier sitzest du, Hadschi Halef Omar, vor mir. Die Geliebte deines Herzens, Hanneh, ist dein Weib. Glaubst du das?“
    Der kleine Hadschi war so ganz Ohr, daß er sich zusammenraffen mußte, um zu antworten:
    „Natürlich ist sie es!“
    „Sie wohnt bei dir; sie ißt und trinkt mit dir; sie sorgt für dich; sie reitet jetzt mit dir durch die Wüste. Ist sie wirklich dein Weib?“
    „Alla l' Allah! Wehe dem, der mir das nicht glauben wollte, wenn ich es ihm sagte!“
    „Du glaubst es; das heißt, du weißt es. Keine Wirklichkeit steht für dich so sicher, so untrüglich bewiesen da wie diese. Da aber kommt der Kadi und fordert von dir Beweise. Du mußt ihm nachweisen, wann und wo ihr geboren seid, wer eure Eltern waren, welchem Glauben ihr angehört, wessen Untertanen ihr euch

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