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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Schwebens nach. Dann hob er erst den einen und hierauf den andern Fuß, trat fest auf und sprach:
    „Das ist die Erde wieder; ich fühle es. Nun führe mich zu dem Ort zurück, von welchem du mich holtest!“
    Er begann jetzt, ohne sich um uns zu bekümmern, den Felsen wieder hinabzusteigen. Dies geschah ganz in der für uns so unerklärlichen Weise, wie er heraufgeführt worden war. Er hielt sich nicht an und kam doch, ohne zu straucheln, hinunter, während wir uns Mühe geben mußten, nicht auszugleiten und zu fallen. Es war wirklich wunderbar! Es drängte sich mir wieder der Gedanke auf, daß er trotz allem doch wohl sehend sei; aber ich mußte ihn von mir abweisen, weil ein solcher Betrug einfach unmöglich war.
    Unten angekommen, gingen wir wieder still hinter ihm her. Er schritt ganz genau auf dem Weg zurück, den wir gekommen waren, ohne nur ein einziges Mal zu zögern. Auch setzte er sich, als wir unsern Platz erreicht hatten, ebenso genau auf derselben Stelle nieder, auf welcher er vorher gesessen hatte.
    „Ich danke dir, Ben Nur, du treuer, lichter Begleiter meiner Seele!“ sagte er mit halblauter Stimme; dann lehnte er den Oberkörper an den Felsen zurück, und nach kurzer Zeit hörten wir an seinen leisen, regelmäßigen Atemzügen, daß er schlief.
    Kara Ben Halef war munter; er wagte aber nicht, zu fragen, wo wir gewesen seien. Wir verhielten uns zunächst ebenso still wie er, weil das, was wir gesehen und gehört hatten, das Denken und Fühlen jedes von uns für sich selbst in Anspruch nahm. Ich ging mein ganzes bisheriges Leben durch, um in demselben vielleicht einen Wink für die Erklärung dieser eigentümlichen nächtlichen Szene zu finden; doch vergebens!
    Ich weiß ja wohl ebensogut wie mancher andere, daß den sogenannten Naturvölkern eine – ich will sagen, Hinneigung zum geheimnisvollen innewohnt, für welche das Wort Aberglaube doch nicht ganz treffend ist. Die reizlose, oft ärmliche Kost, die der gestaltenden Phantasie so günstige Wüste oder Savanne, das magische Halblicht des lautlosen, unergründlichen Urwaldes jenseits des Mississippi, das sind Faktoren, welche in Verbindung mit ererbter psychischer Disposition gewiß imstande sind, den Menschen für das empfänglich zu machen, was der bekannte Ausspruch als ‚zwischen Himmel und Erde‘ liegend bezeichnet. Daher der reiche Märchenschatz des Orients und die Stimmung der Steppen- und Wüstenvölker für das Übersinnliche. Man glaubt gar nicht, was für eine ausgiebige Gestaltungskraft dem Beduinen in diesem Sinne innewohnt! Je weniger Lebewesen die ungeheuren Strecken seiner Heimat bevölkern, desto schöpferischer wird seine Einbildungskraft. Er ersetzt ihnen überreich an imaginären Bewohnern, was ihnen an wirklichen fehlt, und weiß zuletzt selbst nicht mehr, wo die Tatsache aufhört und die Erfindung beginnt. Ebenso und doch auch wieder anders ist es bei den Indianern. Auch sie sind phantastisch tätig, doch fehlt ihnen die Sonne des Südens und die Unerbittlichkeit ihres traurigen Geschickes vertieft die Schatten, in denen ihre Bilder sich bewegen. Es ist ein ernstes, sehr ernstes Reich, welches man betritt, wenn am verglimmenden Lagerfeuer ein alter, auch am Verlöschen des Lebens stehender Indsman beginnt, zu erzählen, was längst verstorbene, berühmte Krieger auf der schlafenden Prärie, in den Schluchten des Gebirges, in den Tiefen der Cañons und zwischen den Riesenstämmen des Urwaldes gesehen haben. Das sind keine Märchen wie jene des Orients, sondern Berichte über nächtlich auferstandene Tote, welche an dem blutigen Geschick ihrer Rasse sterben mußten und doch nicht ruhen konnten, weil der Mord noch ferner rücksichtslos auf ihren Gräbern tanzt. Das sind Menschen, die wirklich gelebt haben, die man einst kannte und einst sah. Und wenn es nicht wahr ist, was man von ihnen erzählt, daß man sie nach ihrem Tod noch oft gesehen habe, so sind sie dennoch wieder lebend geworden, aus der Erde gekratzt von den Klagegeistern einer dem Untergange, dem gewaltsamen Untergange geweihten Nation. Winnetou, der nüchternste, der hell- und scharfdenkendste aller roten Männer, war gewiß kein Phantast, aber zuweilen, wenn wir miteinander im nächtlichen Dunkel lagen, rings von Gefahr umgeben, da geschah es, daß er die Hand hob, um grüßend rundum zu winken, und als ich ihn einst fragte, warum er das tue, antwortete er:
    „Mein weißer Bruder frage nicht. Wir sind beschützt, das mag dir genügen!“
    Und ehe ihn die

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