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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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tödliche Kugel traf, war er von einer ganz bestimmten Todesahnung ergriffen, die leider auch in Erfüllung ging. Ahnung sage ich, denn er sprach sich nicht deutlich aus; aber später fiel mir ein Abend ein, an welchem wir ganz allein hoch oben in der Einsamkeit des Flintpasses saßen, ernste Gedanken austauschend, und dabei auch das Übersinnliche berührend. Ich hatte das Gebet erwähnt; da sagte er:
    „Ja, der große, gute Manitou verlangt, daß man mit ihm rede, denn jedes Kind soll doch mit seinem Vater sprechen. Wenn man in Gefahr ist und ihn um Hilfe bittet, so sendet er seine Krieger herab, die für uns kämpfen. Mein weißer Bruder nennt diese Freunde Engel; ich sage Krieger, denn das Leben ist ja stets nur Kampf. Du hast auch zuweilen nicht Engel, sondern Schutzengel gesagt und nur von einem gesprochen; ich aber weiß, daß mehrere bei mir sind, sooft ihr Beistand nötig ist.“
    „Woher weißt du das?“ fragte ich.
    „Wenn ich sie sehe, grüße ich sie; also weiß ich es, denn was man sieht, das ist gewiß! Ich werde auch wissen, wenn ich sterbe; sie sagen es mir.“
    „Winnetou!“ fuhr ich betroffen auf, denn ich wußte, daß er im Ernst sprach. Er scherzte nur selten und in solchen Sachen nie.
    „Ja, sie werden es mir sagen!“ behauptete er. „Du wirst dich wohl schon oft gewundert haben, daß ich in Gefahren etwas ganz Unerwartetes tat, was keinen Grund zu haben schien und uns doch errettete. Du schriebst es meiner Klugheit zu, aber ich handelte nur nach dem Willen derer, die du Schutzengel nennst. Vielleicht kommt die Zeit, daß ich dir mehr über sie sage. Jetzt muß ich selbst noch lernen und erfahren, denn es ist nicht leicht, sie zu verstehen, und sehr oft irre ich mich noch. Es könnte jeder Mensch empfinden, was der große Manitou ihm durch die Engel sagt, wenn er mehr auf sich und ihre Stimme achtete und sich befleißigte, sie nicht dadurch zu betrüben und von sich fortzustoßen, daß er Böses tut.“
    An dieses Gespräch mußte ich jetzt hier am Bir Hilu denken. Hatte Winnetou sich getäuscht? Waren diese ‚Krieger des großen, guten Manitou‘ Phantasiegestalten, Gebilde seiner eigenen Anima? Das konnte ich bei seiner beispiellos scharfen Beobachtungsgabe doch wohl kaum annehmen! Und selbst wenn ich seinen Worten vollen Glauben schenkte, so war damit noch nichts für die Erklärung des heutigen Vorganges, des Schlafsprechens und gar der Wesenszweiheit des Münedschi getan.
    Auch während der tiefsinnigen Reden meiner alten, hochehrwürdigen Marah Durimeh war manches Wort gefallen, welches über das Diesseits hinüberzeigte, doch aber keines, an welches ich mich jetzt hätte halten können. Ganz selbstverständlich lag mir vor allen Dingen die Frage nahe, welche Stellung ich als gläubiger Christ zu dem, was ich gesehen und gehört hatte, einnehmen sollte. Da konnte ich denn in allem, was der angebliche Ben Nur gesagt hatte oder, anders ausgedrückt, in allen Reden, welche ihm zugeschrieben werden sollten, nichts entdecken, was ich als glaubensfeindlich zu bezeichnen hätte. Es bezog sich alles nur auf die Sterbestunde, nicht auf den Himmel selbst, denn wir hatten uns ja vorzustellen gehabt, daß der Blinde nicht im, sondern am Jenseits stehe. Bedenklich waren mir nicht seine Worte, sondern war mir nur er selbst, und wenn wir es da mit einem Nervenkranken, einem Somnambulen oder Noctambulus zu tun hatten, so war das eine rein ärztliche, aber keine theologische Angelegenheit. Übrigens hatte er so manche, wenn auch nicht landläufige Idee ausgesprochen, die schon längst die meinige auch war.
    Freilich war der Eindruck, den die Stunde dort auf dem Felsen auf mich gemacht hatte, kein gewöhnlicher. Das Vorhergeschehene, die Örtlichkeit, die Person des Blinden, seine tief ergreifende Ausdrucksweise, das hatte sich zur Hervorbringung einer Wirkung vereinigt, welche ebenso tief wie nachhaltig war. Was hätte ich nicht für die Berechtigung gegeben, annehmen zu dürfen, daß dieser Ben Nur, dieser ‚Sohn des Lichtes‘ kein Phantom sei!
    Ich war so in Sinnen und Grübeln versunken, daß ich, um darauf eingehen zu können, mich zusammennehmen mußte, als Halef nach längerer Zeit endlich fragte:
    „Sihdi, geht es dir auch so wie mir? Ich will einschlafen und kann doch nicht. Was ich gehört habe, wird zur Tat; die Worte verwandeln sich in Gestalten. Ich stehe an der Pforte des Jenseits, inmitten der Todesstunde, und sehe die Scharen der Unseligen und Seligen nach El Mizan, der Waage

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