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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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der Gerechtigkeit, an mir vorüberziehen. Wie werde ich von jetzt an flehend beten, dereinst nicht zu denen zu gehören, welche in den Abgrund des Verderbens stürzen! Und welche Mühe werde ich mir geben, so zu leben, daß einer der Engel, welche an der Waage stehen, meine Hand fasse und mich glücklich über Es Ssiret, die Brücke des Todes, nach dem Tor der Seligkeit bringe! Wahrlich, ich sage dir, dieser Ben Nur, von dessen Dasein ich bis heut gar nichts wußte, hat einen ganz, ganz andern Menschen aus mir gemacht! Ich sage nichts, und ich verspreche nichts, aber du wirst es sehen und beobachten!“
    Es war eine heilige Begeisterung, welche aus ihm sprach, und mit ganz demselben Enthusiasmus ließ auch der Basch Nazyr seine Worte folgen:
    „Ja, Effendi, ich stimme Hadschi Halef vollständig bei. Was bin ich doch bisher für ein armer, sündhafter, unnützer Mensch gewesen! Wie viele, viele Worte Ben Nurs klangen so, als ob sie nur für mich gesprochen worden seien! Höre, was ich dir sagen werde! Oder errätst du es vielleicht schon?“
    „Nein“, antwortete ich.
    „Die Liebe, die Liebe, die hat es mir angetan, die hat mich so tief ergriffen. Die Milde, die Barmherzigkeit, die Versöhnlichkeit und das Vergeben! Wer hier nicht vergibt, dem wird dort auch nicht vergeben werden! Mir ist himmelangst geworden. Es bangt mir vor El Mizan, der fürchterlichen Waage der Gerechtigkeit! Wir haben die Mekkaner zur Bastonade verurteilt; aber wenn es auf mich ankommt, so werden sie keinen Schlag erhalten, keinen einzigen Schlag. Allah behüte! Mir soll diese Bastonade nicht im Jenseits angerechnet werden! Du wirst einverstanden sein; aber was sagt Hadschi Halef Omar dazu?“
    Jetzt war ich gespannt auf die Antwort meines kleinen Halef. Er, der an seiner Karbatsch mit so großer Liebe hing und nicht gern eine Gelegenheit, sie in Bewegung zu setzen, vorübergehen ließ, sagte:
    „Ich stimme bei. Ich haue sie nicht und lasse sie auch nicht hauen. Sie mögen unbestraft weiterziehen, bis nach Mekka und dann hinauf zur Brücke der Gerechtigkeit. Dort oben wird ihnen dann gewißlich werden, was sie verdienen; ich rühre keine Hand. Ihr habt gehört, was Ben Nur von den Richtern sagte: Sie werden im Jenseits so gerichtet, wie sie hier im Diesseits gerichtet haben. Ich richte nicht! Habe ich recht, Sihdi?“
    „Ja und auch nein. Der Unberufene soll nicht richten. Der Richter aber hat das Gesetz zu vertreten und muß nach den Vorschriften desselben sein Urteil fällen. Jene strenge Waage der Gerechtigkeit verlangt nicht, daß der Missetäter unbestraft bleibe; aber da wir das Gestohlene wiedererlangt haben und Khutab Agha sowohl Richter als auch Vertreter des Kanz el A'da ist, so bin auch ich der Meinung, daß wir den Dieben die allerdings verdiente Strafe erlassen, die sie wohl auch ohnedem nicht erhalten hätten, wenigstens nicht in der Weise oder in dem Maße, wie ihr es euch vorgenommen hattet.“
    „Was ich da höre! Du hattest also schon wieder deine Humanität im Nacken?“
    „Dieses Mal war es weniger sie, als vielmehr die Klugheit. Wir werden sie höchst wahrscheinlich in Mekka wieder treffen, und so meinte ich, daß wir ihre Rache nicht bis auf den höchsten Grad steigern dürften. Darum freut es mich, daß ihr beide auf ihre Bestrafung ganz verzichtet habt. Wenn noch eine gute Ader in ihnen ist, wird diese Güte auf ihre Besserung wirken; wenn aber nicht, so habt ihr nach dem Willen der ewigen Liebe gehandelt, von welcher Ben Nur gesprochen hat, und die Genugtuung darüber wird euch willig machen, ihr auch fernerhin gehorsam zu sein.“
    „Das ist wahr! Ich fühle es, daß diese Kraft schon in mir rege wird. Darum habe ich eine Bitte, von welcher ich hoffe, daß du sie mir erfüllen wirst, Sihdi!“
    „Welche?“
    „Du weißt doch, daß das Wort ‚Kutub‘ zwischen dir und mir verabredet worden ist?“
    „Natürlich weiß ich das.“
    „Ich wünsche, daß noch ein Wort hinzukomme.“
    „Welches?“
    „El Mizan, die Waage.“
    „Warum?“
    „Kutub bezieht sich nur auf das Sprechen; ich will aber auch in Hinsicht auf das, was ich tue, gewarnt sein. Ich meine, die Tat wiegt schwerer als das Wort, und da ist die zweite Warnung nötiger als die erste. Du weißt, daß ich die Angst nicht kenne; ich gehe jedem Feind, selbst dem Löwen, ja sogar dem schwarzen Panther, ohne Furcht entgegen; heut aber habe ich noch viel mehr als die Furcht, nämlich das Entsetzen, kennen gelernt. Als eine Schar der Sterbenden nach der

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