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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ihn:
    „Bist du überzeugt, daß dies ein wirkliches Gesicht gewesen ist?“
    „Ja, vollständig überzeugt“, antwortete er.
    „Kein Traum?“
    „Kein Traum! Ich träume zwar manchmal auch, weiß aber meine Träume so genau von meinen Gesichtern zu unterscheiden, daß ein Irrtum gar nicht möglich ist.“
    „Ist die Grenze oder der Unterschied zwischen Traum und Gesicht so scharf, so bemerkbar, daß du beide wirklich nicht verwechseln kannst?“
    „Ja. Ich kann sogar zwischen Traum und Traum unterscheiden. Es gibt Träume, welche einfach nur die Fortsetzung der letzten Gedanken sind, mit denen man sich vor dem wirklichen Einschlafen beschäftigt; diese haben nichts zu bedeuten. Und es gibt noch andere, welche eingegeben worden sind. Wenn Ben Nur mir etwas sagen will, was er mir in keiner andern Weise mitteilen kann, so sagt er es mir im Traum. Nach dem Erwachen weiß ich dann, daß ich nicht mit ihm fortgewesen bin, sondern nur geträumt habe, daß aber dieser Traum sein beabsichtigtes Werk und keine Folge meiner Gedanken war. Und ebenso täusche ich mich nie, wenn ich weiß, daß meine Seele den Körper verlassen hat und wo sie dann gewesen ist. Ja, in der ersten Zeit, als ich es noch nicht gewöhnt war und keine Übung in der Unterscheidung hatte, da kam zuweilen ein Irrtum vor, jetzt aber nie mehr.“
    „Du glaubst also an alles, was du bei solchen Führungen siehst?“
    „Ja.“
    „Auch an alles, was du da hörst?“
    „Ja, obgleich mir dieser Glaube oft schwer wird.“
    „Glaubst du, was Ben Nur dir heute in der Nacht gesagt hat?“
    „Auch das! Und doch ist es mir wohl noch niemals so schwer wie grad dieses Mal geworden, ihm Glauben zu schenken.“
    „Warum?“
    „Weil es so viele, viele waren, von denen er sagte, daß sie über den Abgrund des Verderbens gelangen würden.“
    „Wie kann dich die Frage, ob es viele oder wenige waren, stören?“
    „Weil ich selbst in meinem ganzen, langen Leben nur einen einzigen Menschen gefunden habe, von dem ich unbedingt überzeugt bin, daß die Pforte der Seligkeit ihm geöffnet sein wird. Was für eine große, reiche Fülle von Liebe, Güte und Barmherzigkeit muß von allen denen hier im Leben ausgeflossen sein, welche Ben Nur mir als für den Himmel Bestimmte bezeichnete! Und ich habe nie, nie Liebe gefunden, dieses eine, einzige Mal nur ausgenommen!“
    „Aber du hattest doch Eltern?!“
    „Sie liebten mich nicht!“
    „Geschwister?“
    „Sie haßten mich!“
    „Freunde?“
    „Sie nannten sich so, waren es aber nicht!“
    „Ein Weib?“
    „Sie war eine Heuchlerin!“
    „Kinder?“
    „Die hatte ich nicht; Allah sei tausend –, tausendmal Dank dafür! Denn wenn ich auch Kinder gehabt hätte und von ihnen ebenso betrogen worden wäre wie von den andern, die mich haßten und hintergingen, so lebte ich schon längst nicht mehr und wäre infolge der Rache, die ich genommen hätte, von der Brücke des Todes in den Abgrund des Verderbens gestürzt! Glaubst du, daß ich nach allem, was ich erlebt und erduldet habe, noch der Liebe fähig sein kann?“
    „Ja.“
    „Allah segne deinen guten Glauben, denn während du nur an mich zu glauben meinst, glaubst du an die Menschheit! Ja, ich halte die Liebe noch im Herzen fest, dieses Einen, Einen wegen, bei dem ich Liebe gefunden habe. Er nahm sich in seiner selbstlosen Barmherzigkeit meiner an und hat mich dadurch von der Verzweiflung, von dem diesseitigen und dem jenseitigen Verderben gerettet! Seine Liebe ist es, die mir das bereits verlorene Vertrauen zur Menschheit und den Glauben an sie wiedergegeben hat. Frage mich nicht, warum ich grad gegen dich so aufrichtig bin! Es liegt in mir; es treibt mich, dir das zu sagen, obwohl ich weiß, daß auch du die Welt und mein Geschick nicht anders machen kannst. Ich habe nach Liebe vergeblich gesucht, so lange ich denken kann. Ich habe sie gesucht bei Gott, bei den Menschen, im Leben, in der Kirche – – –“
    „In der Kirche?“ fragte ich.
    „Ja, in der Kirche. Ich will es dir nicht verschweigen, daß ich Christ gewesen bin. Dir als Moslem ist es ja ganz gleich, ob ich dem Islam seit meiner Kindheit oder erst seit kurzem angehöre.“
    „Was hat dich veranlaßt, aus der christlichen Kirche zu treten?“
    „Eben mein vergebliches Suchen nach Liebe. Lerne sie nur kennen, diese Christen! Wie sie sich getrennt haben in Sekten, Konfessionen und viele anders genannte Abteilungen, von denen jede behauptet, daß ihre Angehörigen allein selig werden! Wie

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