19 - Am Jenseits
erschießt, so rächen sie mich!“
„Damit hast du uns schon öfters gedroht, ohne daß es ein einziges Mal eingetroffen ist. Woher weißt du übrigens, daß sie dort sind? Sie sind doch, diejenigen abgerechnet, mit denen du hierher geritten bist, vier Stunden hinter dem Brunnen an der Höhe zurückgeblieben.“
„Um euch dort zu erwarten. Da ihr, wie ich jetzt höre, dort gewesen und wieder umgekehrt seid, so sind sie euch gefolgt. Ich meinte aber nicht einmal diese große Abteilung, sondern die kleine, welche ich von hier weg nach dem Brunnen geschickt habe.“
„Ja, du wolltest den Kanz el A'da nicht mit so vielen teilen!“
„Und da nun also mein Haupttrupp wieder zurückgekehrt ist, hat er den kleineren am Brunnen getroffen. Es sind also alle beisammen. Ich mache dich auf diese Gefahr für euch aufmerksam!“
„Das ist sehr freundlich von dir! Ich danke dir, mein Freund.“
„Spotte nicht!“
„Wenn du meinst, daß ich spotte, so mußt du annehmen, daß wir uns nicht fürchten. Was sagst du zu dem Einfall, den ich jetzt habe: Wir erschießen dich und reiten dann gar nicht nach dem Brunnen, wo deine Leute sind! Es ist ja gar nicht notwendig, daß wir sie wieder mit unserer Gegenwart belästigen!“
Da konnte der Scheik seinen bisher niedergehaltenen Zorn doch nicht mehr bemeistern. Er schrie Halef zornig an:
„Ihr seid Schurken!“
„Oh! Warum?“
„Weil ihr die Mekkaner, diese Hunde, freigegeben habt, mich aber erschießen wollt! Ihr habt wahrscheinlich schon vergessen, was der alte Münedschi von der Gnade sagte!“
„Hm! Gnade! Ja, denkst du denn, da wärest auch du gemeint?“
„Natürlich!“
„Das ist freilich etwas anderes, etwas ganz, ganz anderes! Du bittest also auch um Gnade?“
„Bitten? Nein! Ich verlange sie!“
Da zeigte Halef schnell wieder sein ernstes Gesicht und warnte:
„Scheik Tawil Ben Schahid, der Ton, in welchem du sprichst, gefällt mir nicht! Höre, was ich dir jetzt sage! Und das gilt!“
Er winkte einen Haddedihn herbei und befahl ihm:
„Du zielst jetzt auf das Herz dieses Mörders, welcher glaubt, die Gnade müsse ihm gehorchen. Sobald ich die Hand hebe, gibst du ihm eine Kugel in den Kopf, genau in die Stirn. Paß auf!“
Der Krieger hielt den Lauf auf den Scheik, zielte und legte den Finger an den Drücker. Hierauf richtete der Hadschi sein Wort wieder an Tawil:
„Du siehst die Folgen deines Verhaltens. Ich gebe dir zwei Minuten Zeit. Hast du bis dahin noch nicht gesprochen, so hebe ich die Hand.“
Es trat eine tiefe Stille der Erwartung ein. Die Hälfte der Frist verlief; dann aber wirkte die Drohung.
„Nehmt die Flinte weg!“ bat der Scheik.
„Du willst Gnade?“ fragte Halef.
„Ja.“
„Du willst?“
„Ja.“
„Das Wollen ist noch kein Bitten!“
„Allah zerschmettere euch mitsamt dieser Flinte! So sei es denn: Ich bitte um Gnade!“
Da senkte der Haddedihn das Gewehr, und der Hadschi lachte:
„So war es recht, o Scheik der Beni Khalid! Aber ich will dir trotzdem mitteilen, daß ich das Zeichen auf keinen Fall gegeben hätte. Es war ja beschlossene Sache, auch dich laufen zu lassen. Ich wollte nur hören, wie es klingt, wenn ein Scheik um Gnade bittet.“
Tawil antwortete hierauf kein Wort und schenkte von jetzt an keinem einzigen von uns einen Blick. Als er losgebunden worden war, stand er auf, ging nach der Stelle, wo sein Gewehr lag, hob es auf, schritt zu seinem Kamel hin, setzte sich in den Sattel, gab ihm das Zeichen, sich zu erheben, und ritt fort. Wir sahen ihm ebenso still nach. Fast war er so weit gekommen, daß er um den Fuß der Düne biegen und dann verschwinden mußte, da lenkte er um, kam im schnellen Lauf wieder hergeritten, hielt vor uns an, maß uns mit stolzen, grausam kalt blickenden Augen und sage, indem er seine Hand zum Schwur hoch erhob:
„Auch ich habe über eure Liebe gelacht und lache jetzt noch über sie. Zwischen mir und euch gibt es nichts als nur die Rache! Ich schwöre bei Allah, beim Propheten, bei den Kalifen und bei der heiligen Kaaba: Die Wüste, welche hier um uns liegt, richtet zwischen mir und euch. Entweder verlaßt ihr oder verlasse ich sie nicht! Ihr seid fünfzig und ich bin nur einer; aber in den Augen der Rache zähle ich ebensoviel wie ihr. Ich rufe die Wüste auf, sich entweder für euch oder für mich zu öffnen! Von diesem Augenblick an gähnt zwischen uns ein Grab. Wen es aufnehmen soll, ob mich oder euch, das mögen die entscheiden, bei denen ich geschworen
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