19 - Am Jenseits
habe!“
Schon stand er im Begriff, sein Kamel zu wenden, da stieß er noch ein spöttisches Lachen aus und fügte hinzu:
„Oder mag das auch die Liebe entscheiden, die eure angebetete Götzin ist; ich habe nichts dagegen!“
Hierauf ritt er fort, ohne sich noch einmal umzusehen.
Wir blickten ebenso wortlos wie vorhin hinter ihm drein. So ein Schwur ist eine eigene Sache! Es wäre einem jeden von uns jetzt unmöglich gewesen, die eingetretene Stille durch ein alltägliches Wort zu unterbrechen. Man hatte da eine so unbeschreibliche, andachtsähnliche Empfindung, daß ich, wenn ich Mohammedaner gewesen wäre, gesagt hätte:
„Die angerufenen Geister von Mohammed und seinen Nachfolgern stehen unsichtbar um uns her, um zwischen uns und ihm zu entscheiden!“
So war es nicht nur mir, sondern den andern auch. Einige der Haddedihn nahmen sich der verwundeten Militärkamele an, und die andern taten, was an den Leichen der Soldaten zu tun war, und das alles geschah, ohne daß man ein lautes Wort hörte. Diese Heiligkeit der Situation, möchte ich es nennen, hatte ihren obersten Grund natürlich in dem Umstand, daß überall, wo der Tod einzieht, sich mit ihm auch jene fromme Scheu, jenes andächtige Grauen einfindet, über dessen Ursache sich so wenige Menschen klar werden. Und doch ist es etwas so sehr Einfaches! Der Mensch scheint, solange er lebt, sein eigener Herr zu sein. Er kann tun und lassen, was ihm beliebt; er kann glauben oder bezweifeln, was er will; er kann gut oder böse handeln, ganz, wie er sich entschließt; er ist ja überhaupt derjenige, auf den alles ankommt. Da plötzlich streckt sich die Hand des Todes nach ihm aus, und der Tod ist das Gericht. Der ‚Herr und Gebieter‘ liegt im Staube vor Gott, dem einzigen Herrn, außer dem es keinen andern gibt. Er hat nun plötzlich Rechenschaft abzulegen über sein ganzes Leben. Er besitzt nicht die Spur eines Willens mehr; er muß sich fügen. Jede Sekunde seines Lebens tritt als Zeugin für oder gegen ihn auf, und er muß das ruhig geschehen lassen. Der Herrgott hält Gericht; zu seinen Seiten sitzen die Gerechtigkeit und die Gnade. Tief vor ihm hingestreckt liegt auf seinem Gesicht der zu Richtende, am ganzen Leibe zitternd im Gefühl seiner Ohnmächtigkeit. Er kann nichts, nichts mehr für sich tun. Wer wird nun das entscheidende Wort sprechen, die Gnade oder die Gerechtigkeit? Gehe während der Verhandlung in einen Gerichtssaal! Du wirst unwillkürlich leise auftreten und auch leise sprechen. Warum? Du kannst nicht anders; die Ehrfurcht vor dem Gericht dämpft deine Schritte und deine Stimme. So trittst du auch in das Sterbezimmer. Ob du es ahnst oder nicht, du hast den Ort des ewigen Gerichts betreten, welches mit dem Augenblick des Todes seinen Anfang nimmt. Es ist der unsichtbare Richter, welcher hier waltet; du siehst ihn nicht und trittst aber doch so unhörbar wie möglich auf. Es ist die Ehrfurcht vor dem Gesetz des Ewigen, nach welchem hier über dem Dahingeschiedenen das Urteil gesprochen wird; es ist diese Ehrerbietung, welche dich zwingt, dein Haupt zu entblößen, das mehr oder weniger deutliche Bewußtsein, daß auch du selbst über kurz oder lang so ohnmächtig daliegen wirst, um auf der Waage der Gerechtigkeit gewogen zu werden. Das, das ist die Ursache des Grauens, welches jeder nicht ganz verdorbene Mensch in der Nähe einer Leiche empfindet und nicht von sich abzuwehren vermag!
Und wir hatten zwanzig Tote hier, und diese Toten waren ermordet worden, was noch viel, viel mehr sagen will! Es wurde ihnen ein möglichst tiefes und großes, gemeinsames Grab bereitet. Dahinein legten wir sie, einen neben den andern, in ihren Uniformen und mit den Seitengewehren, die Flinten neben sich. Als wir die Sterbegebete über sie gesprochen hatten, gaben wir eine dreimalige Salve ab, legten einem jeden seinen kleinen Gebetsteppich auf das Gesicht und warfen das Grab zu. Während dieser ganzen Handlung weinte Khutab Agha, der Ernste, immerfort still vor sich hin. Da tauchte wohl in manchem von uns die Frage auf, ob wir nicht mit den Mördern denn doch wohl zu mild verfahren seien, und es gesellte sich der feste Vorsatz hinzu, nun aber streng zu sein, wenn wir wieder in Konflikt mit ihnen kommen sollten. Und daß dies geschehen werde, das hatte uns der Scheik der Beni Khalid ja schon angedroht.
Darüber waren wieder mehrere Stunden vergangen, und als wir nun diesen für uns unvergeßlichen Ort verlassen konnten, war die größte Hälfte des
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