19 - Am Jenseits
sich in derselben Wüste und haben ganz dasselbe empfunden und gedacht wie du. Es gibt unter ihnen keinen, der an dem Dasein Gottes und an dem ewigen Leben Zweifel hegt, denn die Seele jedes von ihnen ist da oben gewesen, wo jetzt auch die deine war.
Der Tag vergeht, und um die Zeit des Mogreb wird Halt gemacht. Das Lager wird gebildet und dann das Wasser ausgeteilt. Wie erhebend klingt dann der Ruf:
„Hai 'alas Salah, hai 'alai Felah; Allah akbar; la Ilaha il Allah – – – auf zum Gebete, auf zum Heil; Gott ist sehr groß; es gibt keinen Gott außer Gott!“
Nach dem raschen Hereinbruch der Dunkelheit wird noch das Abendgebet gesprochen; dann hüllt ihr euch in eure Decken; die Beduinen schlafen; du aber hast die Augen offen, denn die Sterne Gottes sind aufgegangen, hier in größerer Pracht und Herrlichkeit als anderswo. Sie ziehen mit magischer Gewalt deinen Blick zu sich hinauf und mit ihm deine Seele mit allen ihren Gedanken.
Du denkst zunächst des heimatlichen Himmels, der andere Bilder hat als dieser südlichere. Das liebe Vaterhaus mit allen, die in ihm wohnen, kommt dir in den Sinn. Dein Herz eilt hin zu ihnen, denen deine Liebe gehört. Du hältst Heimkehr aus der Wüste, aus der fernen Fremde in die Heimat, die dich geboren hat. Aber der Glanz der Sterne zieht dich wieder her, ohne daß du das Gefühl, daheim zu sein, verlierst. Bist du nicht auch hier daheim, an der Seite des himmlischen Vaters, von welchem Jesaias sagt: „Kann denn ein Weib ihres Kindes vergessen, daß sie sich nicht erbarmte des Sohnes ihres Leibes? Und wenn sie es vergäße, so wollte doch ich dich nicht vergessen!“ So wird dir selbst die Wüste zum Heim, und auch die Sterne grüßen dich nicht fremd. Es ist, als ob sie liebe, verheißungsvolle Worte herniederflimmerten von den Wohnungen im Hause des Vaters, welche Christus uns bereitet hat. Ist es nicht wunderbar, daß diese Sonnen und Welten, millionenmal größer als unsere winzige Erde, dich nicht erschrecken, sondern vielmehr deinen Glauben und dein Vertrauen stärken? Es drückt dich nicht nieder, daß sie schon Milliarden von Jahren bestanden haben und noch Billionen von Jahren bestehen werden, während dein Leben höchstens siebzig Jahre währt, und wenn es hoch kommt, so sind es achtzig Jahre. Und du tust wohl daran, so zuversichtlich zu sein, denn Christus sagt: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen!“ Und diese Worte, welche ewig bleiben, sind die Worte von der Liebe, von der Liebe des Vaters, dessen Kinder wir sind für Zeit und Ewigkeit. Bist du ein guter Mensch, so schau hinauf zum Himmel und sag: Hast du nicht jeden einzelnen dieser lichten Sterne lieb? Sag ‚Nein‘, wenn du es vermagst! Höre die Worte, welche einst nach meinem Tode mit meinen andern Gedichten veröffentlicht werden:
Ich fragte zu den Sternen
Wohl auf in stiller Nacht,
Ob dort in jenen Fernen
Die Liebe mein gedacht.
Da kam ein Strahl hernieder,
Helleuchtend, in mein Herz
Und nahm alle meine Lieder
Zu dir, Gott, himmelwärts.
Ich fragte zu den Sternen
Wohl auf in stiller Nacht,
Warum in jene Fernen
Er sie emporgebracht.
Da kam die Antwort nieder:
„Denk nicht an irdschen Ruhm;
Ich lieh dir diese Lieder;
Sie sind mein Eigentum!“
Ich fragte zu den Sternen
Wohl auf in stiller Nacht:
„Gilt denn in jenen Fernen
Auch mir die Himmelspracht?“
Da klang es heilig wieder:
„Du gingst von mir einst aus
Und kehrst wie deine Lieder
Zurück ins Vaterhaus!“
Schau, so fest und sicher ist mein Glaube, so unerschütterlich und freudig mein Vertrauen, daß diese Sterne wohl leichter ihr Licht verlieren, obgleich ihr Dasein nach Jahrmillionen zählt, als daß ich, das noch nicht sechzig kurze Jahre alte Menschenkind, von meiner Zuversicht zum Vater lassen würde, in dessen Haus auch mir ein Platz bereitet ist, wenn ich mich seiner nicht unwürdig mache!
Sieh die Wüste im Glanz dieser Sterne liegen! Geht er nicht vom Vater aus? Oder denkst du, daß er einen andern Urquell habe, den du mit Hilfe deiner sogenannten Wissenschaft erreichen und chemisch begutächteln kannst, um ihn dann in Flaschen mit patentiertem Gummiverschluß per Reklame zum Verkaufe en gros und en détail auszubieten? Ich sage dir, die einzige, untrügliche, also wahre Wissenschaft ist Gottes Allweisheit, und der Glanz, welcher von dieser Weisheit aus über alle Welten strahlt, kann von keines Menschen Sohn auf dem Wege der Wissenschaft bis an seinen Quell zurückverfolgt werden. Wenn
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