19 - Am Jenseits
aushalten würde.
Der Mensch hat die Gabe, sich den Naturverhältnissen des von ihm zum Aufenthalte gewählten Landes anzubequemen; er wird je länger desto mehr ein Sohn desselben, indem er die Eigenart des Bodens annimmt, der seine Wohnung trägt, mag diese nun eine festgegründete oder ambulante sein. So auch der Wüstenbewohner. Ich gestatte mir nämlich dieses eigentlich grundfalsche Wort, weil es sich nun einmal eingebürgert hat. Die Wüste ist ja unbewohnt, und, wenn sie von Karawanenpfaden durchzogen wird, kann doch nur von Wanderern, nicht aber von Bewohnern gesprochen werden.
Die Wüste liegt weit und flehend ausgebreitet wie ein endloses Gebet zu Gott um Gnade und Barmherzigkeit. Sie ist ein tief ergreifendes Bild irdischer Armut und Hilflosigkeit. Sonnendurchglüht, kahl und nackt ragen ihre Felsen empor, oft grotesk, phantastisch geformt, oft kühn vereinzelt, oft zu gemeinschaftlichen, wilden Zügen vereint, bald in seltsamen Gliederungen aufgebaut, so daß man zerfallene Städte, verödete Schlösser und Burgen oder prächtige Säulenhallen in der Ferne zu erblicken meint, bald wieder wie von der Faust eines unerbittlichen Schicksales niedergeschmettert, breitgedrückt, zerrissen und zerklüftet, von gähnenden Abgründen durchzogen, in deren Tiefe selbst die Glut der äquatorialen Sonne nicht zu dringen vermag. Gleicht dieses Bild nicht ganz genau der Geschichte dieses scheinbar, aber eben auch nur scheinbar von Gott verlassenen Landes?
Diesen oft gen Himmel ragenden Reliefs folgt das Warr, jene von zerstampften, wild durcheinander geworfenen Felsenmassen bedeckte Wüste, welche das Aussehen hat, als ob der Teufel im Zorne über seine Verstoßung hier eine ganze Welt zerschmettert und dann die Trümmerbrocken umhergewirbelt habe. In allen Größen liegen sie da, diese Steinblöcke, hier nur einer, nur zwei oder drei, dort hoch aufeinander getürmt, als ob der Böse dann ‚Markenumgang‘ in seinem Innern gehalten und jede einzelne Sünde, jedes einzelne Laster desselben mit einem aus zermalmten Bergen bestehenden Schandmal bezeichnet habe. Rundum bis an den Horizont, so weit das Auge reicht, sind diese Zeichen zu sehen, und je weiter er sich dehnt, desto größer wird ihre Menge. Zwischen ihnen liegen die Felsenbrocken gesät wie unzählbare Körner von tausend Höllenfrüchten, die in der Wüstensonne nachreifen und sich schwärzen sollen. Den einsamen Wanderer durchschauert es trotz der glühenden Hitze; er treibt sein Kamel an, um schnell weiter zu kommen, und ruft: „Allah beschütze und behüte mich!“
Dann kommt die Wüste, in welcher der Sand sich mit dem Wasser vermählt. Dort im Westen, Tagereisen weit von hier, liegt die glatte Ebene des Sandes. Der stets vorherrschende Westwind streicht über sie und nimmt die feinsten, leichtesten Körnchen mit, um sie an jedem festeren Punkte, an jeder noch so kleinen Erhöhung abzusetzen. Die Erhöhung wird größer; sie wächst von Tag zu Tag. Der West baut höher auf, und die mit der Sonne gehenden Nebenwinde helfen ihm. Der von ihm getriebene Sand wird bis zur Spitze gehoben, und was nicht da liegen bleibt, fällt jenseits herab. Das gibt ein leises, süßes, metallisches Klingen und Tönen. „Die Engel flüstern“, sagt der Beduine, wenn er, halb schlafend und halb wachend, es während der Nacht hört. Das ist die Wüste der Sandhügel. Die feinen, klingenden Körner wandern weiter und immer weiter; sie erreichen das Warr; sie füllen seine Löcher und Vertiefungen, seine Zwischenräume aus; sie steigen an seinen Trümmern empor und hüllen sie, die harten, mit weichem Mantel ein, geben seinen scharfen Linien Milderung und verwandeln die rohen Trümmerhaufen nach und nach in sanfte Hügelwellen: Die flüsternden Engel decken das Teufelswerk in liebevoller, nie ruhender Arbeit zu.
Und weit, weit draußen endlich dehnt sich die von keiner Erhöhung unterbrochene, ewig gleiche Sahara, die Wüste des toten Sandes. Die Tageshitze liegt in sichtbarer Verdichtung manneshoch auf ihr; der Himmel zieht sich wie flüssiges Blei darüber hin und scheint sich am Horizonte mit einem Meere von glühendem Erz zu vereinigen; eine Grenzlinie zwischen beiden gibt es tagelang nicht. Das Auge brennt, der Sehnerv versagt ermüdet seine Tätigkeit, denn der sehnsüchtige Blick findet keinen Punkt, an dem er ruhen könnte. Der Sinn für die Entfernung geht verloren; man glaubt, inmitten einer halt- und gestaltlosen Ewigkeit zu reiten, und verliert in ihr den
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