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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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unbegreiflich, daß ein gebildeter Mann aus solchen Gründen zum Renegaten werden kann. Zu der gebildeten Klasse zählte er, denn einige seiner Äußerungen ließen darauf schließen, daß er studiert hatte.
    Als die Zeit unserer kurzen Rast vorüber war, halfen wir ihm wieder in den Sattel und ritten dann weiter. Halef gesellte sich mir wie gewöhnlich zu und teilte mir seine Ansichten über den Blinden mit. Auch ihm war es aufgefallen, daß dieser von seinen traurigen Erfahrungen gesprochen und dabei doch erklärt hatte, er habe das Namenchristentum aus vielen, vielen Büchern studiert.
    „Weißt du, Sihdi“, sagte der Hadschi, „das mit den vielen Büchern mag wohl wahr sein, denn er ist wirklich ein Gelehrter; aber die Ansichten, welche er uns mitteilte, schienen weniger aus diesen Schriften, als vielmehr aus seinem Leben zu stammen. Ich möchte behaupten, daß er sehr oft mit Christen zusammengetroffen ist, welche sich nicht mit dem Herzen, sondern nur äußerlich zu diesem Glauben bekannten. Was meinst du dazu?“
    „Er ist ein Rätsel, dessen Lösung großes Interesse für mich besitzt“, antwortete ich ausweichend. „Eine Meinung kann ich erst dann haben, wenn ich mir über ihn klargeworden bin. Zunächst müssen wir uns mit der Tatsache begnügen, daß er ein verlassener, unglücklicher Mann ist, dem wir unsern Beistand zu widmen haben.“
    „Der soll ihm werden, Sihdi, und zwar von Herzen gern. Dieser vom Tod Erstandene hat mein Mitleid, meine ganze Teilnahme in der Weise erweckt, daß ich bereit bin, für ihn alles zu tun, was mir möglich ist. Als diejenigen, die ihm das bereits verschwundene Leben wiedergegeben haben, sind wir verpflichtet, in der Weise und so lange für ihn zu sorgen, wie es in unseren Kräften steht, und das werden wir tun!“ –
    Im Verlauf der nächsten Stunde wurde die Beschaffenheit der Wüste eine andere, als sie bisher gewesen war. Der unsere Tiere so ermüdende Wechsel zwischen Höhen und Tiefen wiederholte sich weniger häufig, die Hügelwellen wurden nach und nach flacher, und die Täler hoben sich, bis sich beide in der Weise ausgeglichen hatten, daß das entstanden war, was man im gewöhnlichen Sinne unter Wüste versteht, nämlich eine vollständig ebene Sandfläche, deren Horizont einen ununterbrochenen Kreis bildet.
    Der Sand war zunächst tief und fein. Die Füße der Kamele und Pferde ‚mahlten‘ förmlich im Mehl. Später wurde er seichter und gröber; der Untergrund war hart. Es traten von Zeit zu Zeit und dann immer mehr steinige Stellen hervor, welche an Größe zunahmen und in ihrer schließlichen Vereinigung den Sand verschwinden ließen. Wir befanden uns im Serir, der Wüste des glatten Steines. Der Boden war von den Winden kahlgefegt worden und zuweilen so glatt, daß die Kamele ausrutschten. Hier mußte man sehr gut aufpassen, wenn die Spuren, denen wir folgten, nicht verloren werden sollten. In dieser Art von Wüste pflegen die Temperaturunterschiede am größten zu sein, weil der am Tage in der Sonne fast glühende Stein seine Wärme des Abends schneller ausstrahlt als der Sand und dann erkaltet. Der Europäer hat sich vor solchen Gegenden sehr zu hüten, weil Fieber und Erkältungskrankheiten die unausbleiblichen Folgen sind.
    Nach einiger Zeit änderte sich die Szene abermals. Der Steinboden wurde uneben. Er schlug zunächst flache und dann höhere Wellen, deren Zwischenräume, je weiter wir kamen und je tiefer sie waren, sich um so mehr mit Sand gefüllt zeigten, den der Wind hineingeweht hatte. Die wie glatt polierten Erhöhungen verwandelten sich in scharfgeschnittene Hügel, welche in dem weiten, ebenen Serir als einzelne, inselartige Gruppen aufragten und sich dem Blick in die Ferne hindernd entgegenstellten. Ein solches Terrain ist für Leute, welche eine Begegnung zu scheuen haben, natürlich gefährlicher als die offene Wüste, welche Umschau nach allen Richtungen gewährt. Da muß auch derjenige, der keinen Feind zu haben glaubt, vorsichtig sein, weil grad die Arabische Wüste eine Stätte nie aufhörender, blutiger Befehdungen ist.
    Übrigens teilte uns der Ben Harb, unser Führer, mit, daß der Bir Hilu an den größten und zerklüftetsten der hier umhergestreuten Felseninseln liege, und zwar in der Entfernung von vielleicht einer halben Reitstunde von uns.
    „Da müssen wir sofort unsere Richtung ändern!“ sagte Halef.
    „Warum?“ fragte ich, obwohl ich wußte, was er meinte. „Welchen Grund könnte es wohl geben, von der

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