19 - Am Jenseits
das Vollkommene ist, hört jedes Stückwerk auf.“
Das war ja eine fast wörtliche Anführung aus dem herrlichen dreizehnten Kapitel des ersten Korintherbriefes! Daß er, der Moslem, die Heilige Schrift zitierte, durfte ich nicht ohne Bemerkung vorübergehen lassen, sondern ich mußte ihn zwingen, sich zu ihr zu bekennen. Darum fragte ich schnell:
„Ist das deine eigene Ansicht oder steht es im Koran geschrieben? Ich habe es nicht da gefunden.“
„Es ist eine Stelle aus dem heiligen Buch der Christen“, antwortete er.
„So ziehst du also die höchste und schönste aller Lehren nicht aus dem Werk Mohammeds, sondern aus dem Kitab el mukaddas? (Die Bibel)“
„Ja. Doch darf das für dich kein Grund sein, an meiner Rechtgläubigkeit zu zweifeln, denn Mohammed hat selbst oft auch aus diesem Kitab geschöpft, und wenn ich das auch tue, so folge ich nur seinem Beispiel, welches er uns für die Erkenntnis der Vollkommenheit gegeben hat. Für uns, die wir nicht so erleuchtet sind, wie er es war, besitzt sein Koran zahlreiche Lücken, welche nur mit den Wahrheiten der Bibel auszufüllen sind.“
„So ist also die Vollkommenheit, von welcher du sprichst, nicht aus dem Koran, sondern aus der Bibel zu schöpfen? Der Wert der letzteren ist folglich größer?“
„Das habe ich nicht gemeint und nicht behaupten wollen. Aus meinen Worten geht nur hervor, daß sie oft deutlicher, also leichter zu verstehen ist als die Suren des Propheten. Ihm war ein anderer Weg vorgeschrieben als dem Stifter der christlichen Religion, nämlich der Kampf, während Jesus der Prediger der Liebe und des Friedens sein durfte. Da Jesus nicht gehört wurde, mußte ihm ein Mohammed folgen. Christus faßte den ganzen Inhalt seiner Lehre in das Gebot zusammen ‚du sollst Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen lieben und deinen Nächsten wie dich selbst‘. Hätte er Gehorsam gefunden, so wäre das Reich des Friedens angebrochen, dessen Verkündigung in den Worten lag ‚den Frieden hinterlasse ich euch; meinen Frieden gebe ich euch!‘ Er, der Friedensfürst, wurde an das Kreuz geschlagen, und wie dabei der Vorhang im Tempel mitten auseinanderriß, so war der Friedensbund zwischen Allah und der Menschheit zerrissen, und es mußte der Prophet kommen, dessen Religion bestimmt war, auf den Spitzen der Schwerter getragen und verbreitet zu werden. Wer den Frieden nicht haben will, der will den Kampf. Da die Menschheit die Lehren Christi verwarf und heut noch verwirft, wird sie sich von der Streitbarkeit des Islam bekehren lassen müssen.“
„Ist die Lehre Christi wirklich in der Weise abgewiesen worden, wie du sagst? Ich denke, es gibt weit mehr Christen als Mohammedaner, so daß auf fünfzehn Moslemin wenigstens vierzig Christen zu rechnen sind.“
„Wenn du die Köpfe zählst, so hast du recht; Allah aber sieht das Herz an; zähle also die Herzen, nicht die Köpfe! Dann wirst du erkennen, wie wenig wahre Christen und wieviel, viel mehr gläubige Anhänger des Islam es gibt. Ich kenne dieses Namenchristentum leider nur zu gut. Ich habe es studiert und darunter gelitten seit meiner Jugendzeit und – – –“
Er hielt plötzlich in seiner mit großem Eifer vorgetragenen Rede inne und fuhr dann, sich verbessernd, langsam und mit mehr Überlegung fort:
„Ich wollte sagen: Ich habe es aus vielen, vielen Büchern studiert und bin mit manchem sogenannten Christen zusammengetroffen, der grad und genau das Gegenteil von dem war, was ein Anhänger der Messiaslehre sein soll. Ich habe da soviel Trauriges erfahren und erlebt, daß ich nur höchst ungern davon spreche. Schweigen wir also über diesen Gegenstand! Gebt mir lieber Tabak, die Pfeife ist mir wieder ausgegangen!“
Als ihm dieser Wunsch erfüllt worden war, gab er sich seinem Lieblingsgenuß in einer Weise hin, welche, wenn ich die Absicht dazu gehabt hätte, es vollständig ausschloß, das Gespräch mit ihm fortzusetzen. Er sah ein, daß er mehr gesagt hatte, als eigentlich seine Absicht gewesen war; hierin lag der eigentliche Grund des plötzlichen Abbruches seiner Mitteilungen. Was mich betraf, so war ich vollständig zufrieden mit dem, was ich gehört hatte. Ich wußte nun, warum er die Heilige Schrift so gut kannte: Er war früher Christ gewesen und dann Mohammedaner geworden. Weshalb? Diese Frage beschäftigte mich freilich, doch brauchte ich mir nicht den Kopf darüber zu zerbrechen. Er hatte von Namenchristen und von schlimmen Erfahrungen gesprochen, doch war es mir
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