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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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er, indem er seine Pfeife aus der Tasche nahm.
    Wir erfüllten ihm diesen Wunsch, und er begann mit demselben, fast gierigen Eifer zu rauchen, den ich schon an ihm beobachtet hatte. Infolge unsers Gespräches mit dem Perser drängten sich mir einige Fragen auf, welche ich dem Blinden vorzulegen hatte. Ich wartete, bis sein starkes Qualmen und der dabei hochbefriedigte Ausdruck seines Gesichtes mir bewiesen, daß ‚seine Seele jetzt ganz bei ihm‘ sei, und erkundigte mich dann:
    „Sagtest du mir nicht, daß El Ghani dich des Persischen wegen als Dolmetscher mit nach Meschhed Ali genommen habe?“
    „Ja, das sagte ich, und es ist auch so“, antwortete er.
    „So hast du ihn dort auf allen seinen Wegen und Ausgängen begleiten müssen?“
    „Nein, denn ich bin ja blind. Wenn er ausging, fand er ja überall Leute, mit denen er sprechen konnte, weil sie arabisch oder türkisch verstanden.“
    „So wäre es für ihn eigentlich gar nicht nötig gewesen, dich mitzunehmen!“
    „O doch! Denn wenn er daheim war, bekam er oft Besucher, welche persisch sprachen; dann brauchte er mich.“
    „Du bekamst aber auch wohl Besuche, wenn er ausgegangen war?“
    „Nein, denn er schloß mich ein, und er tat sehr recht daran, denn ein blinder Mann ist an einem fremden Ort, gar wie Meschhed Ali, wo ganze Scharen von Pilgern verkehren, unter denen sich auch böse Menschen befinden, vielen Gefahren ausgesetzt.“
    „In Mekka verkehren noch mehr Pilger als in der Stadt der Schiiten; also wirst du wohl dort auch eingeschlossen?“
    „Ja, stets.“
    „Ist dir das nicht langweilig?“
    „Nein, denn es besuchen mich viele, viele Leute, und ich gehe auch zuweilen mit El Ghani, meinem Wohltäter, aus.“
    „Diese vielen Leute besuchen dich jedenfalls wegen deiner Gelehrsamkeit?“
    „Sie kommen meist, um wichtige religiöse Fragen auszusprechen, welche ich ihnen beantworten soll. Ich weiß aber dann später nur ganz selten, was ich gesagt habe, denn ich verliere das Bewußtsein und komme gewöhnlich erst wieder zu mir, wenn sie fortgegangen sind.“
    „Was während deiner Bewußtlosigkeit geschieht, das weißt du nicht?“
    „Ich sehe in alle Zeiten, die vergangene, gegenwärtige und zukünftige. Ich sehe Orte, welche der Erde angehören, und Orte, welche nicht auf ihr liegen. Nur alles, was mich selbst betrifft, was sich auf meine Person bezieht, das sehe ich nicht.“
    „Höchst sonderbar, daß dir grad das verborgen bleibt, was dich am meisten interessieren muß!“
    „Ich bin zufrieden, denn Ben Nur, der mir diese Zeiten und diese Orte zeigt, will es nicht anders.“
    „Erfährt El Ghani alles, was du da zu sehen und zu hören bekommst?“
    „Ich sage ihm vieles davon, aber er glaubt es nicht. Er lächelt nur immer, wenn ich ihm sage, daß ich im Lande der Abgeschiedenen gewesen sei; du aber würdest es mir glauben!“
    „Irre dich nicht! Auch der Mohammedaner hält die Bibel für ein heiliges Buch, denn Mohammed hat aus demselben geschöpft und erklärt die Propheten der Bibel für wirkliche Propheten. Und dieses heilige Buch verbietet, daß man die Toten frage!“
    „Wenn ich nicht auf der Erde bin, so sind es nicht die Toten, sondern die Lebenden, bei denen ich mich befinde, und wenn ich rede, so spreche ich nur mit Ben Nur, der kein Verstorbener ist. Niemand braucht sich zu scheuen, das zu hören, was meine Seele hört. Wenn ich dir sage, was ich sehe, so brauchst du auch dein Weib, dein Kind nicht fortzuweisen, denn es sind gute, reine, lautere Himmelsstimmen, die sich meiner Lippen bedienen. Ich bin nicht Stern-, Traum- oder Zeichendeuter, sondern seit ich hilflos geworden bin durch die Blindheit meiner Augen, gehöre ich zu den Armen und Unmündigen, denen offenbar wird, was den Reichen und Klugen verborgen ist. Ich bin weder ein Geisterseher noch ein Prophet, kein Lügner und auch kein Phantast; ich bin weiter nichts als ein in der Wüste verlorenes Schaf, welches seinen Hirten sucht. Wenn mich da die Aufmerksamkeit meiner Sehnsucht die Stimmen der Wüste hören läßt, die sonst niemand hört, und wenn mein Durst aus weiter Ferne die Feuchtigkeit des Wassers spürt, welche die Glücklichen nicht empfinden, die bei dem Hirten an der Quelle liegen, so mögen wohl sie von Selbstbetrug und Täuschung sprechen, ich aber lasse mir diese Stimmen und diesen feuchten Hauch als Führer aus der Verlassenheit zum Brunnen dienen. Ich wollte gegen dich schweigen, denn du warst mir fremd; aber nun ich dich im Kampf, den ich dir

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