191 - London - Stadt der Vampire
befand, schien ihn völlig aus der Fassung gebracht zu haben. Zum erstenmal kam sie auf den Brettern, die für sie die Welt bedeuteten, ins Schleudern. Tim Shumans Blick beunruhigte sie in höchstem Maße, machte ihr Angst und veranlaßte sie, sich blitzschnell umzudrehen.
Was sie sah, ließ sie an ihrem Verstand zweifeln.
Im Zuschauerraum herrschte gespanntes Schweigen. Es war so still, daß man eine Stecknadel zu Boden fallen gehört hätte. Das Publikum konnte nicht sehen, was Sarah Christie und Tim Shuman so sehr entsetzte, denn Calumorg stand noch hinter den seitlichen Kulissen.
Aber das änderte sich, als der Uralt-Vampir auf die Bühne hinausstampfte!
Keinem fiel ein zu glauben, der Auftritt dieses gehörnten Zottelscheusals gehöre zum Stück. Der ganze Theatersaal hielt vor Entsetzen den Atem an.
Calumorg wollte Sarah Christie packen. Tim Shuman stellte sich schützend vor seine Kollegin, und der Zottelvampir wollte ihn augenblicklich mit dem Horn durchbohren, doch der junge Schauspieler hatte unvorstellbares Glück.
Er schaffte es irgendwie, dem tödlichen Stoß auszuweichen, und ergriff mit beiden Händen das dicke Horn. Mit einer zornigen Kopfbewegung schleuderte der Uralt-Vampir den mutigen jungen Mann von der Bühne.
Tim Shuman flog in hohem Bogen in den Zuschauerraum. Die Landung war hart und raubte ihm die Besinnung.
Starr vor Angst stand die Schauspielerin vor Calumorg, unfähig, sich in Sicherheit zu bringen.
Im Zuschauerraum brach Panik aus. Die Leute sprangen entsetzt auf und verließen schreiend die Sitzreihen. Sie quetschten sich durch die Ausgänge, jene, die weiter hinten waren, drängten mit verhängnisvoller Unvernunft nach. Es gab Verletzte. Doch die übermächtige Angst ließ die Menschen nicht zur Einsicht kommen.
Mittlerweile war auch Vacul auf der Bühne erschienen. Er erblickte oben in einer Loge eine schöne Frau. Ihr Blut mußte er haben!
Sie trug ein dezent dekolletiertes weißes Kleid. Dieser verlockenden Schönheit konnte der Blutsauger nicht widerstehen. Er sprang hoch, verwandelte sich in eine große schwarze Fledermaus und flog in die Loge.
Die junge Frau befand sich in Begleitung ihres Mannes, aber das störte Vacul nicht. Niemand durfte ihn daran hindern, das Blut dieser Schönheit zu trinken.
Niemand konnte ihn daran hindern!
Aber der Ehemann versuchte es. Als seine Frau grell um Hilfe schrie und die angreifende Fledermaus mit Faustschlägen abwehrte, stürzte er sich auf das flatternde Biest.
Vacul nahm menschliches Aussehen an. Der Ehemann kämpfte erbittert mit ihm und schrie seiner Frau zu, schnellstens die Loge zu verlassen.
Sie wollte es tun, doch Vacul ließ sie nicht hinaus. Er schlug ihren Mann nieder, griff mit beiden Händen nach ihren Schultern und preßte sie gegen die Wand.
Ihre Angst war so groß, daß sie das Bewußtsein zu verlieren drohte, und das Grauen griff mit eiskalten Fingern nach ihrem Herz.
***
Vincent Crespo hatte gleich drei Verfolger auf den Fersen: die Männer aus der Welt des Guten! Er hastete eine Holztreppe hinunter und turnte durch das Gestänge unter der Bühne. Zwischen Kulissenfragmenten fand er fürs erste ein Versteck, in dem er sich absolut still verhielt. Er bewegte sich nicht, und da er als Untoter nicht mehr atmete, würde er sich mit keinem Geräusch verraten.
Pakka-dee, Thar-pex und Fystanat suchten den Blutsauger.
»Er muß hier irgendwo sein!« knurrte Daryl Crenna. »Er kann den Keller nicht verlassen haben.«
»Es gibt verdammt viele Möglichkeiten, sich zu verstecken«, sagte Mason Marchand.
»Vielleicht kann ich ihn mit Pors Hilfe ausfindig machen«, meinte Brian Colley. Er aktivierte die Kraft des abtrünnigen Teufels.
Por hatte als eigenständiges Wesen den Fehler gehabt, zwar nie Böses tun zu wollen, aber ständig Katastrophen heraufzubeschwören. Damit war es vorbei, seit ihn Thar-pex unter Kontrolle hatte.
Unter Zuhilfenahme der Teufelssensoren tastete Brian Colley den gesamten Keller Quadratmeter für Quadratmeter ab. Er war davon überzeugt, daß er früher oder später auf den Blutsauger stoßen würde.
Pakka-dee und Fystanat blieben dicht hinter ihm, um dafür zu sorgen, daß Vincent Crespo nicht noch einmal ausrücken konnte, sobald ihn Thar-pex aufgestöbert hatte.
Sie waren gut aufeinander eingespielt - und Crespo war allein.
»Es müßte schon mit dem Teufel zugehen, wenn er hier lebend rauskäme«, sagte Mason Marchand gespannt.
Vincent Crespo hörte es, aber er reagierte nicht.
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