Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
192 - Nah und doch so fern

192 - Nah und doch so fern

Titel: 192 - Nah und doch so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
Vom Netzwerk:
unterwegs, kämpfte siegreich mit seinem Schwert und…
    (Das Schwert!), dachte Grao’sil’aana erschrocken. Dann fiel ihm ein, dass er es in der Versammlungshöhle gelassen hatte – er brauchte es nicht, und auf dem Flug zum Schildkrötenfluss war es nur hinderlich. (Ab morgen darf ich Nuntimor nicht mehr aus der Hand legen! Es könnte Schwierigkeiten geben, wenn Daa’tan erwacht und die Mandori sehen, wie er aus der Erde kommt. Ich werde Thgáan befehlen, für alle Fälle in der Nähe zu bleiben.)
    Aus der Abenddämmerung unten im Tal näherte sich ein riesiger Schatten. Grao’sil’aana lief dem Todesrochen ein Stück entgegen, hob unterwegs die Arme. Mächtige Tentakel umschlangen ihn, dann schwenkte Thgáan herum und flog mit dem Daa’muren Richtung Fluss davon. Wenig später waren die beiden verschwunden.
    »Hast du das gesehen?«, flüsterte Punta entsetzt. Er kauerte mit Taranay in einem Versteck an der Felsformation, Puntas bevorzugtem Jagdrevier auf Igoanas. Der Junge war leichenblass. »Grao Wongh-nga ist mit einem fliegenden Ungeheuer befreundet! Denkst du, dass er vielleicht ein… ein böser Dämon ist? Taranay?«
    Der Siebzehnjährige antwortete nicht. Er starrte wie vom Donner gerührt auf das Gerippe des Owomba.
    »Ich weiß, was passiert ist!«, sagte er unvermittelt. Taranay hob den Kopf, sah seinen Bruder an. »Ich erinnere mich wieder! Es war gar nicht Grao Wongh-nga, der mich gerettet hat! Als der Owomba angriff, kam auf einmal dieses fliegende Monster an, genau wie jetzt. Es hat die Bestie der Länge nach aufgeschlitzt. Aber nicht meinetwegen!« Taranay ergriff Punta und schüttelte ihn erregt. »Es wollte nur Grao Wongh-nga retten! Verstehst du, was das heißt?«
    »Aua! Lass mich los, Mann, du tust mir weh!«
    Taranay sprang auf. »Onkel Warnambi hatte Recht! Grao hat mich benutzt, um sich bei uns einzuschleichen! Er will…«
    Der junge Mandori brach ab, von plötzlicher Erkenntnis überwältigt. »Oh, möge der Ahne uns beistehen!«, flüsterte er und ergänzte für Punta: »Grao will die Macht an sich reißen! Er wird bestimmt unsere Familie töten!«
    »Was tun wir jetzt?«, fragte der Elfjährige mit zittriger Stimme.
    »Wir warnen sie. Aber vorher muss ich noch was herausfinden.« Taranay zog einen Flintstein aus der mitgebrachten Tasche und drückte Punta eine Fackel in die Hand. »Halt das mal! Ich mach uns Licht.«
    »Und wenn Grao Wongh-nga zurückkommt?«, fragte der Jüngere ängstlich.
    »Wird er nicht. Er hätte kein fliegendes Ungeheuer gerufen, wenn er in der Nähe bleiben wollte.« Taranay entzündete die Fackel, nahm sie Punta weg und sagte: »Komm mit! Wir gehen zur Akazie und sehen nach, was er da vergraben hat!«
    Als die Brüder mit dem Abstieg begannen, kehrten gerade die Kukka’bus heim. Ihr Gelächter begleitete Punta und Taranay auf ihrem Weg ins Tal, und je näher sie dem Baum kamen, desto unheimlicher wurde ihnen zumute.
    Punta hatte wenig Lust, an diesem Ort auch noch in der Erde zu wühlen, aber Taranay war wild entschlossen. Er gab die Fackel dem Jüngeren, hockte sich hin und begann zu scharren.
    Es dauerte eine Weile, bis er die richtige Stelle gefunden hatte.
    »Hier ist was!«, sagte er. Punta hielt den Atem an, als sein Bruder eine Art Tuch aus dem Boden zog, durchsichtig und dünn. Im Licht der Fackel zeigte sich, dass es miteinander verklebte Akazienblätter waren, aufgelöst bis auf die Blattrippen und ohne jede Farbe.
    »Da ist noch mehr!« Taranay griff ein weiteres Mal ins Erdreich – und fuhr erschrocken zurück.
    »Iiih! Da liegt ein Toter!«, wisperte Punta, über seinen Bruder gebeugt. »Ist das einer von uns?«
    Taranay blickte zu ihm auf. »Idiot! Vermisst du jemanden?«
    Dann nahm er dem Elfjährigen die Fackel aus der Hand und leuchtete in das Bodenloch.
    »Er fault schon!«, sagte Punta angeekelt. »Sieh nur, diese grünen Streifen im Gesicht.«
    Taranay beugte sich vor. »Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich Schimmel ist! Könnten auch Adern sein.« Er zögerte lange, doch am Ende siegte die Neugier. Vorsichtig streckte Taranay die Hand aus, tippte mit dem Finger an das grüne Geflecht.
    Ruckartig schlug der Tote die Augen auf.
    »Aaaaaah!«, gellte es durchs Wellowin, dass die Kukka’bus hochstoben. Punta und Taranay rannten mit ihrer Fackel davon, als wäre der Leibhaftige hinter ihnen her, während die Schirmakazie in ein flatterndes Flügelheer explodierte. Jetzt gab es für die Jungen keinen Zweifel mehr: Grao Wongh-nga

Weitere Kostenlose Bücher